Seiten:
Actions
  • #1 von Bateman am 24 Jun 2014
  • "Musashi" - ein Roman, der im Westen kaum bekannt ist (wohl auch, weil er hier in den Schatten von James Clavells "Shogun" treten musste, der dem westlichen Leser deutlich zugänglicher ist), der aber insbesondere in Japan eines der wichtigsten Werke der modernen Literatur darstellt. Die Figuren des Romans sind so einprägsam, dass sie sogar in den alltäglichen Sprachgebrauch Japans übergegangen sind und zur Charakterisierung hinzugezogen werden. Insbesondere die Schlussszene hat Einfluss darauf, wie bis zum heutigen Tage Schwerter in Japan hergestellt werden (dazu unten mehr im Spoiler-Abschnitt).

    "Musashi" ist schon ein Ziegelstein, in jeder Hinsicht. Auf 1200 Seiten wird, neben der abenteuerlichen Handlung, ein geschichtliches, kulturelles und philosophisches Bild Japans gezeichnet. Der Schreibstil kann mitunter trivial anmuten, die Themen sind es ganz und gar nicht.

    INHALT

    Der Roman beginnt mit Takezo, einem jungen Burschen aus der Provinz Miyamoto, der auf dem Schlachtfeld (Schlacht von Sekigahara, 1600) erwacht, offenkundig einer der wenigen Überlebenden. Als er sich aus den Leichenbergen wühlt, trifft er auf seinen Freund Matahachi, der ebenfalls, stark verwundet, überlebt hat.

    Gemeinsam machen die beiden sich auf den Weg in die Heimat. An der Provingrenze werden sie von der Witwe Oko und deren Tochter Akemi aufgenommen. Matahachi verliebt sich in Oko und macht sich mit ihr und Akemi auf und davon.

    Erschüttert vom Verrat seines Freundes, kehrt Takezo zurück in sein Heimatdorf, um Matahachis Verlobte Otsu von der Flucht ihres Geliebten zu unterrichten. Zuhause angekommen, muss er jedoch feststellen, dass kaum ein Dorfbewohner ihm wohlgesonnen ist. Vor allem Matahachis Mutter Osugi hat es auf ihn abgesehen, wirft sie ihm doch vor, ihren Sohn verdorben zu haben. Das Schicksal meint es nicht gut mit Takezo. Angestachelt durch Osugi und den Mönch Takuan Soho (ebenso wie Takezo eine reale historische Figur), wird er am höchsten Baum des Dorfes aufgeknüpft.

    Nach mehreren Tagen des Darbens in der heißen Sonne, fasst sich Otsu (Matahachis ehemalige Verlobte) ein Herz und befreit Takezo. Der zieht fortan als Ronin durch Japan.

    Nach einer Wiederbegegnung mit dem Mönch Takuan wird Takezo verhaftet und verbringt mehrere Jahre, eingekerkert in einer Schreibstube. Über die Meditation und die in Fülle vorhandene Lektüre, wächst Takezos Geist. Er hat ein Einsehen, dass er sein Leben ändern muss, um ein gefestigter und guter Mensch zu werden.

    Von diesem zeitpunkt an nennt er sich Miyamoto Musashi und wird zu einem angesehenen Schwertkämpfer.

    ________________________

    Diese kurze Inhaltsbeschreibung macht übrigens ungefähr die ersten hundert Seiten aus. Der Rest des Buches ist vollgepackt mit Verwicklungen und einer Vielzahl an Charakteren. Klar: Ein bisschen Seifenoperig ist das Ganze schon. Nicht umsonst wird "Musashi" gern mit "Vom Winde verweht" verglichen.

    Zentraler Konflikt des Romans ist spätestens ab der Hälfte Musahis Rivalität mit dem (ebenfalls historisch überlieferten) Schwertkämpfer Sasaki Kojiro.

    SPOILER ZUM ENDE -------------------------------

    So läuft schließlich alles auf den finalen Kampf zwischen Musashi und Kojiro hinaus. Im Boot, auf dem Weg zu der Insel, auf der das Duell stattfindet, lässt Musashi sein Schwert fallen und schnitzt sich ein Holzschwert aus dem Ruder. Mit diesem besiegt er Kojiro nach kurzem Streich.

    Noch heute werden in Japan, Musashi und dem Roman zu Ehren, Holzschwerter in Ruderform hergestellt.


    SPOILER ENDE -----------------------------------



    BESONDERHEITEN

    Obwohl ein eher trivial gehaltener Roman, hat "Musashi" einen unvergleichlichen Schreibstil, der mich zur Vorstellung in den aufgespießten Büchern getrieben hat.

    Vor allem Yoshikawas Umgang mit Perspektive weiß zu beeindrucken. Er erzählt zumeist aus der personalen Perspektive - stellt in diesem zsuammenhang auch umfangreich die Geisteswelt der jeweiligen Figur dar (insbesondere die philosophischen Aspekte) -, springt aber teilweise von Absatz zu Absatz zwischen den Charakteren. Diese ständige Fokusverlagerung mutet fast filmisch an.

    Ein Beispiel, das mich besonders begeistert hat: Musashi und sein Schüler Jotaro machen Rast in einer Teestube und unterhalten sich. Wir springen kurz in Musashis Gedanken. Dann wechselt Yoshikawa in die auktoriale Perspektive, beschreibt uns den Raum und die Umgebung und Gesprächsfetzen vor dem Fenster. Aus den Gesprächsfetzen erkennen wir, dass es sich um Banditen handelt. Im nächsten Absatz sind wir mitten im Gespräch der Banditen und in deren personaler Perspektive.

    Fast kann man in dieser Szene die langsame Kamerafahrt durch den Raum und aus dem Fenster heraus sehen. Der Ton, der zuerst gedämpft im Hintergrund zu hören war, wird lauter, drängt sich in den Vordergund. Nach einem Schnitt sind wir auf den Gesichtern der Banditen.

    Kein Wunder, dass "Musashi" auch massiven Einfluss auf die Filmkultur hatte. Unter den westlichen Beispielen natürlich zuallererst "Kill Bill". Das typische japanische Zeitlupengeschehen (bekannt aus Filmen und Mangas) setzt Yoshikawa bildgewaltig um. Da gibt es mehrere Absätze lang die Beschreibungen, wie Schnee langsam vom Himmel fällt und sich auf die kampfbereite Schwertspitze senkt. Auch hier ein ständiger Wechsel von Tempo, Fokus und Erzählabstand.

    Alles etwas gewöhnungsbedürftig, aber unbedingt lesenswert!

    _______________________

    Ich bin nicht ganz sicher, meine aber, dass es die ungekürzte Ausgabe nur gebunden gibt (das Taschenbuch erscheint mir mit 800 Seiten zu kurz, zumal schon das Hardcover Mikroschrift hat):
    http://www.amazon.de/Musashi-E-Yoshikawa/dp/B0030GCG26/

    Es gibt auch eine gelungene Manga-Adaption, die man hier komplett kostenlos lesen kann:
    http://v2012.mangapark.com/manga/Vagabond/c1/1
    • Bateman
  • #2 von Mondstern am 24 Jun 2014
  • "Musashi" ist eine reale Person.
    Schon vor Jahren habe ich sein Buch "Die 5 Ringe" gelesen
  • #3 von Bateman am 24 Jun 2014
  • Ja, ich habe das oben in Bezug auf "Takezo" erwähnt. Ist vielleicht etwas verwirrend: Er heißt zunächst Takezo, benennt sich dann in Musashi um (Beide Namen haben das gleiche Schriftzeichen).
    Musashi ist vor allem berühmt dafür, dass er die Kampftechnik mit zwei Schwertern eingeführt hat, was er in seinem Buch auch darstellen müsste. Stimmt das, Mondstern? Habe die "5 Ringe" leider nicht gelesen.
    • Bateman
  • #4 von Parzifal am 24 Jun 2014
  • Scheint ein interessantes Buch zu sein ...
    • Parzifal
  • #5 von Bateman am 31 Aug 2014
  • Ich war zu Gast bei einem Film-Podcast, in dem wir die Verfilmung von Musashi, die Samurai-Trilogie von 1954-56, besprochen und mit dem Buch "Musashi" verglichen haben. Ein Ziegelstein-Podcast mit 2 Stunden Länge, dem Umfang des Romans und der Filme also angemessen :)

    Also, wer Lust hat, kann mal reinhören. Viel Spaß!

    http://wiederauffuehrung.de/wa018-samurai-trilogie/
    • Bateman
  • #6 von Mondstern am 31 Aug 2014
  • Er heißt zunächst Takezo, benennt sich dann in Musashi um (Beide Namen haben das gleiche Schriftzeichen).

    Cool, das wusste ich nicht.

    Zitat
    Musashi ist vor allem berühmt dafür, dass er die Kampftechnik mit zwei Schwertern eingeführt hat, was er in seinem Buch auch darstellen müsste. Stimmt das, Mondstern? Habe die "5 Ringe" leider nicht gelesen.

    Ich glaube, dies war nur ein Teil seiner „Findung“. 2 Schwerter sind cool – verwendet auch Spartakus in der gleichnamigen TV-Serie. In der Realität der Gladiatorenkämpfe sieht es aber so aus, das dieser Kämpfertyp nahe zu chancenlos war, und nur gegen Kämpfer mit ebenfalls 2 Schwertern antrat.

    Musahi war eine Art Ronin, im Westen würde man sagen, - ein Revolverheld. Er wollte es immer wissen und duellierte sich mit den besten. (in Japan unter gewissen Umständen legal)
    Mir denkt sein letztes Duell, bei dem er mit einem Holz/Bambusschwert antrat …

    Danach kämpfte er nicht mehr und gründete seine Schule … Das Buch ist sehr empfehlenswert.
    LG Mondstern
  • #7 von Trippelschritt am 31 Aug 2014
  • Die fünf Ringe hat mir dem Roman fast nichts zu tun.
    Es ist das Ergebnis eines langen Lebens voller Einsichten, die dann auch noch runterkondensiert wurden und eigentlich einen Interpretationshelfer benötigen.
    Aber wer eine Antenne für japanische oder taoistische Philosophie hat, wird hier fündig.
    Bitte nicht enttäuscht sein, ein ist ein ganz schmales Bändchen.

    Den Roman kenne ich nur aus dem Taschenbuch. Beeindruckende 800 Seiten

    Liebe Grüße
    Trippelschritt
  • #8 von Trippelschritt am 31 Aug 2014
  • Wenn ich mich recht erinnere, kämpfte er gegen einen Schmied, der an seiner Waffe auch eine Kette mit sichel befestigt hatte. Musashi war mit seinem Katana nicht in der Lage ihn zu bezwingen, weil er immer damit beschäftigt war, die doppelten Angriffe abzuwehren.
    Das müsste aber im Roman wiederzufinden sein.

    Liebe Grüße
    TRippelschritt
  • #9 von Mondstern am 31 Aug 2014
  • Die fünf Ringe hat mir dem Roman fast nichts zu tun.

    Ich bezieh mich auf das dünne Büchchen - über sein Leben
  • #10 von Bateman am 31 Aug 2014
  • Zitat
    Wenn ich mich recht erinnere, kämpfte er gegen einen Schmied, der an seiner Waffe auch eine Kette mit sichel befestigt hatte.

    Der Schmied hieß Baiken und der Kampf mit ihm markiert den ersten Moment, in dem Musashi unwillkürlich zwei Schwerter benutzt. Final entwickelt er den Stil dann im Kampf an der Schirmtanne. Ich gehe auf diese Szenen auch kurz im Podcast ein.
    • Bateman
  • #11 von Noir am 01 Sep 2014
  • Ich kenne die Geschichte von Miyamoto Musashi vor allem durch den Manga "Vagabond".
    Mir hat er damals vor allem wegen dem detaillierten Zeichenstil und der Realitätsnähe zugesagt (Warnung: auch die Brutalität ist ein fester Bestandteil der Geschichte).
    Von dem, was ich bisher über das Buch "Musashi" gehört habe, scheint "Vagabond" sogar sehr nahe an der Vorlage dran zu sein. An den Kampf mit Baiken (Sichel und Kette) und auch an Kojiro Sasaki (der im Manga taub dargestellt wird) kann ich mich noch sehr gut erinnern.
    Interessant ist auch der Kontrast von Brutalität und der Suche nach Einklang. Musashi scheint sich selbst durchgehend zu hinterfragen, was zu vielen ruhigen, philosophischen Momenten führt.

    Wenn ich demnächst wieder etwas mehr Zeit habe, werde ich mich an das Buch versuchen. Ich bin gespannt!
    • Noir
Seiten:
Actions