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merin:
"Ghana Must Go" by Taiye Selasi

Ich habe selten ein Buch gelesen, das mich so berührt hat. Es ist sprachlich sehr reich, mit einer eigenen Sprache und intensiven Bildern und nicht chronologisch erzählt, wodurch man sich als Leserin die Puzzlesteine zusammensuchen muss, was es für mich sehr spannend machte, aber ich brauchte einige Seiten, um mich darauf einzulassen. Von der Anlage her ist es eine Familiensaga, aber durch die Art es zu erzählen und die Nähe zu den Protas, deren Gefühle und Gedanken sie sehr berührend darstellt, ist es auch viel mehr: Entwicklungsroman, Einblicke in Schwarze Diaspora-Geschichte usw. Es ist ganz zu Recht ein Bestseller. Es ist auch auf deutsch erschienen, hat da aber einen anderen Titel. Aber da es das bislang einzige Buch der Autorin ist, findet man das leicht raus.

Fabian:

--- Zitat von: merin am 10 July 2016, 12:46:20 ---Es ist ganz zu Recht ein Bestseller. Es ist auch auf deutsch erschienen, hat da aber einen anderen Titel. Aber da es das bislang einzige Buch der Autorin ist, findet man das leicht raus.

--- Ende Zitat ---
Der Titel der deutschen Ausgabe: "Diese Dinge geschehen nicht einfach so".

Das Schöne an den Empfehlungen hier ist, dass sie sowohl etwas über die vorgestellten Bücher als auch über die sie rezensierenden Autoren sagen und mich im besten Falle neugierig machen.
Das Schöne an den Berliner öffentlichen Büchereien ist, dass sie es mir möglich machen, meiner Neugier Raum zu geben, ohne dass ich dabei arm würde.
Und dass sie mich regelmäßig zum Stöbern veranlassen: auf den Selasi-Band muss ich leider noch etwas warten, dafür stieß ich auf einen Roman von Yvonne Adhiambo Owuor: "Der Ort, an dem die Reise endet".
Wunderschön, auf eine brutale Weise, befindet Taiye Selasi auf dem Rückumschlag, und ich gebe mich der Hoffnung hin, dass solche Sätze ernst gemeint sind und fürchte zugleich die korrumpierende Macht eines Literaturbetriebs, der solche Sätze wohlfeil und im Dutzend hervorbringt.

Der erste Satz (an dessen Bedeutung für die Lesermotivation ich im allgemeinen nicht wirklich glaube) lautet:
Er springt über zwei flammend rote Blüten auf dem nackten, rissigen Gehsteig.

merin:
Ein wundervoller erster Satz.

Ich bin gespannt, was Du zu den anderen beiden Büchern sagst. Ich habe ja beide auf Englisch gelesen und bin gar nicht sicher, ob im Deutschen nicht doch gelegentlich mein Kitschalarm angesprungen wäre.

Und ja, ich denke auch: Die Buchempfehlungen sagen auch viel über die empfehlenden Teufel.

kass:
@Fabian und Merin


--- Zitat ---Der erste Satz (an dessen Bedeutung für die Lesermotivation ich im allgemeinen nicht wirklich glaube) lautet:
Er springt über zwei flammend rote Blüten auf dem nackten, rissigen Gehsteig.
--- Ende Zitat ---


--- Zitat ---Ein wundervoller erster Satz.
--- Ende Zitat ---

Hach! Ein absolut herrliches Beispiel dafür, dass es nichts Absolutes gibt! Ich würde ganz klar nach dem ersten Satz keinen zweiten lesen wollen! Bei dem Satz weiß ich, das ist kein Buch für mich. Sofort zugeklappt und zurück ins Regal damit. (soviel zur Lesermotivation und ersten Sätzen  :devgrin:)

Und jetzt natürlich ein paar Gegenbeispiele für erste Sätze, die mich sofort am Haken packen:

Autor: Kevin Hearne (Titel: Hexed) - Turns out that when you kill a god, people want to talk to you.

Autor: Brandon Sanderson (Titel: Warbreaker) - There were great advantages to being unimportant.

Autor: Brandon Sanderson (Titel: Steelheart) - I've seen Steelheart bleed.

Und Zack! Auf den Tresen gepackt und gekauft!

JAAA, ich bin ein echter Sanderson-Fan. Habe gerade die Reckoners - Trilogie verschlungen (Steelheart - Firefight - Calamity), und in meinem Elend, dass im Anschluss an Sanderson die Auswahl an für mich schönen Büchern echt dünn wird - lese ich jetzt erneut Warbreaker. Es ist einfach eins meiner Lieblingsbücher.

Wenn mal jemand ein Beispiel sucht für richtig rasantes Erzähltempo, dann kann ich Steelheart - Firefight - Calamity wärmstens empfehlen.

Ansonsten ist es natürlich Geschmackssache, ich mag es halt spannend und mit Humor gewürzt.

LG
Kass
 




Fabian:
Michael Köhlmeier: Das Mädchen mit dem Fingerhut (Roman, 140 S.)

Im Grunde genommen ist das ganz einfach mit den Flüchtlingen: sie sind uns fremd, vor allem, wenn wir nur über sie hören. Aber auch, wenn wir mit ihnen direkt zu tun bekommen, sind sie uns fremd. Wenn es gut geht, bleibt das dann aber nicht so. In beiden Fällen geht die Betrachtung von uns aus. Warum auch nicht.

Michael Köhlmeier hat seinen Roman Das Mädchen mit dem Fingerhut radikal aus der Perspektive eines sechsjährigen Mädchens in der Fremde geschrieben.
Die Fremden, das sind wir in diesem Buch. Die Fremde, das ist ein unbekannter, unwirtlicher, kalter, gefährlicher Ort in diesem Buch, dabei ist es doch unsere warme, gemütliche, lebendige Stadt. Eine fremde Stadt, in der das kleine Mädchen fast zugrunde geht.
Nicht umsonst ist der Titel, den Köhlmeier seinem Roman gegeben hat, eine Reminiszens an Das Mädchen mit den Schwefelhölzern von Hans Christian Andersen.

In Köhlmeiers Text geht die Geschichte für das kleine Mädchen scheinbar besser aus: es trifft zwei andere, ebenso fremde Kinder und sie führen den Überlebenskampf gemeinsam und überstehen den Winter.

Aber es ist ein tragisches, gefährdetes happy-end für die zwei, die zusammenbleiben: die Kinder, die sich den Winter über gegenseitig und mit allen Mitteln geschützt haben, werden im rettenden, wärmenden Sommer Teil einer Gruppe sein, über die Köhlmeier im letzten Satz des Romans sagt: „Die Freunde, das sind eine Horde von Zerlumpten, die bereits zu alt sind für Mitleid und Rührung.“

Immerhin: nur der Tod ist endgültig, so lässt Köhlmeier uns wenigstens noch einen Funken Hoffnung, dass alles gut werden könnte.

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