Teufelszeug > Schreibmethoden
Überarbeiten beim Schreiben oder erst alles in Rohfassung?
kass:
Hi Merin,
Oh ja, das ist ein spannendes Thema!
Ich hab ja immer den Eindruck, dass ich Pläne schmieden kann wie ich will, das wird sowieso nichts, die Geschichte entwickelt eh ihre Eigendynamik. Und ich vermute, dass es keine Rolle spielt, von welcher Seite man da ran geht, es gibt immer die Momente, wo die Geschichte hakt. Jedenfalls probiere ich gerade aus, wie es ist, (fast) ohne plot zu schreiben und es in Erzählabschnitte zu unterteilen.
Den ersten Erzählabschnitt überarbeite und überarbeite ich bis ich der Meinung bin, dass es im Prinzip so zum Lektor kann. Bin noch nicht ganz durch damit, weil es mir wie Viskey ging: Da fehlt eine Szene, die mir nicht gelingen will. Das hatte ich schon am Anfang. Da fehlte eine Szene zwischen Victoria und Zora. Mehrere Leute haben mir gesagt, dass da ein Gespräch zwischen den beiden hin gehört. Also Gespräch geschrieben. Langweilig. Neues Gespräch geschrieben. Wieder langweilig. Zwei Wochen im Hinterkopf gegrübelt. Gespräch gestrichen, weil immer noch langweilig. Andere Szene geschrieben. Gut. Hat aber den folgenden plot durcheinander gebracht. Also plot anpassen.
Ich weiß noch, wie furchtbar anstrengend ich es fand, ein ganzes Buch zu überarbeiten, Nebenfiguren und ganze Handlungsstränge rauszuschmeißen, plot verändern, um dann den Anschluss an die eigentliche Geschichte zu finden. Fehlen jetzt Informationen? Wird jetzt irgendwo zuviel vorweggenommen? Ist irgendwo noch eine Andeutung auf etwas drin, was ich jetzt rausgeschmissen habe? Hab ich den Spannungsbau vermurkst oder verbessert? Die reinste Hirnakrobatik!
Das will ich unbedingt für die Zukunft vermeiden. Spannung lebt ja davon, was man dem Leser wann verrät. Und wenn ich nun einfach durchschreiben würde, um dann am Ende festzustellen, dass da ja am Anfang was fehlt und dann Szenen einbaue, in denen dann aber wiederum Dinge aufgeworfen werden, die wesentlich zum Spannungsaufbau beigetragen haben, ja dann hab ich ein echtes Problem. Will sagen, im Moment mag ich es, so in Abschnitten vorzugehen, um ein festes Fundament zu haben, auf dem die folgenden Abschnitte aufbauen, auch wenn ich gerade mal wieder an einem Punkt angelangt bin, wo es hakt. Ich weiß aber, es hat keinen Sinn, etwas einzubauen, wovor ich mich sträube. Also muss ich warten, bis mir eine andere Szene einfällt, die ich einbauen kann, um den Übergang zum nächsten Kapitel zu glätten. Im Moment lenke ich mich mit Kurzgeschichten ab, finde es eine gute Übung im Szenen-Ausdenken. Hoffentlich inspiriert mich das und lässt mein Hirn aus den vorgetretenen Pfaden ausbrechen und eine gute Idee für eine andere Szene liefern, als das, was da gefühlt rein muss, ich aber nicht schreiben will.
Ach, es ist beruhigend, dass es nicht nur mir so geht.
Für mein erstes Buch, wo ich die Wände mit Karten und Truppenbewegungen und Pfeilen und Plänen nur so gepflastert hatte, brauchte ich gute drei Jahre, aber es war ja auch mein erstes. Beim zweiten habe ich mehr aus dem Bauch heraus geschrieben, habe dann auch erst mal geguckt, dass ich bestimmte Handlungsbögen abschließe, bevor ich mich an den nächsten gemacht habe, und das Buch hatte ich innerhalb von 2 Monaten fertig (nun ist es auch nur etwa ein Drittel des ersten Buches, aber trotzdem empfand ich das als schnell).
Mal schauen, wie es mir in der Zukunft damit so ergehen wird.
--- Zitat ---Bei mir ist es definitiv eine Vermeidung der Frage, wie es (im Plot) weiter gehen soll. Mir fällt es viel leichter, etwas Geschriebenes zu verändern als vor dem leeren Blatt zu sitzen. Da habe ich Hemmungen, immer wieder.
--- Ende Zitat ---
Na klar ist das leichter! Aber es ist doch so viel schöner, wenn einem eine gute Szene einfällt! Da darf man ruhig Stunden, Tage und Wochen mit verbringen. Und weil das so wichtig ist, habe ich noch nie verstanden, was in so manchem Schreibratgeber drin steht: nämlich, dass man sich jeden Tag abends eine Stunde hinsetzen soll, um zu schreiben.
Ja was denn? Irgendeinen Murks? Na klar kommen viele Ideen beim Schreiben, aber ich brauche doch zumindest einen Ansatz, der Taug haben könnte, um loslegen zu können.
Soviel von meiner Seite. Lass uns wissen, wie es dir ergeht.
LG
Kass
Zauberfeder:
@kass, huhu :)
Wie muss ich mir denn Erzählabschnitte vorstellen? Ich kenne nur Szenen und Kapitel, deswegen sagt mir der Begriff so gar nichts. Wie lang ist denn so ein Erzählabschnitt ungefähr oder wo ist da die Grenze?
Vielleicht bist du ja einfach eher der Bauchschreiber. War ich früher auch. Bin ich aber nicht mehr, denn ich musste feststellen, dass ich durch das Bauchschreiben nur Logik- und Plotfehler einbaue, weil ich ja eben noch gar nicht weiß, wo ich genau hin will und dann lässt sich z.B. so ein Spannungsbogen, von dem du sprichst, gar nicht aufbauen, weil ich vorher ja gar nicht weiß, wo ich hin will. Auch weil du sagtest, du fandest es anstrengend, ein ganzes Buch zu überarbeiten. Ich habe für mich die Erfahrung gemacht, dass es für mich viel anstrengender ist, ein bauchgeschriebenes Werk anzupassen, da eben alles so umzugestalten, dass es inhaltlich passt. Ums Überarbeiten wirst du ja letztlich nie herum kommen, egal ob du jetzt ein Werk schreibst, dass du vorher geplant hast oder nicht.
Du überarbeitest also quasi schon die Rohfassung, habe ich das richtig verstanden? Auch eine Methode. Nur wäre mir das zu riskant, wenn ich das bei einem bauchgeschriebenen Werk so machen würde, eben weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass sich da bei mir Logikfehler und so reinschleichen, zumal es für mich auch schwer wäre, das zu überarbeiten, wenn ich ja noch gar nicht genau weiß, wohin ich eigentlich mit der Geschichte will. Wie machst du das? Das würde mich wirklich interessieren, weil ich selbst so überhaupt nicht mehr arbeiten könnte.
Ja, das stimmt. In Schreibratgebern raten sie dir immer, jeden Tag zu schreiben, egal was. Damit kann ich allerdings auch nicht anfangen. Sie meinen halt, dass man da eine gewisse Routine hineinkriegt und das dann regelmäßig macht und so eben regelmäßig an seinen Texten schreibt. Ist für mich aber auch nichts, weil ich nicht einfach irgendetwas schreibe und es sinnlos finde, das zu tun. Wieso soll ich mir irgendwelche überflüssigen Sachen aus den Fingern saugen? Bringt mir nichts. Da schreibe ich lieber eine Zeit lang gar nicht, als irgendeinen Murks zu schreiben, mit dem ich weder zufrieden sein noch etwas damit anfangen kann.
merin:
Ich komme mit der Disziplin tatsächlich weiter. Weil ich vieles unbewusst schreibe. Da sagt der Chef was zum Angestellten, was erst im Nachhinein Sinn ergibt und den Angestellten dazu bringt, den Chef zu hintergehen. Das war mir nicht bewusst, als ich es geschrieben habe. Ich kann mir das nicht rein kognitiv ausdenken. So arbeite ich nicht. Ich muss assoziativ sein, mir Raum nehmen. Den denke ich manchmal eher aus, als dass ich schreibe, aber ich arbeite am Text. Und selbst, wenn eine Szene entsteht, die ich später verwerfe, bringt sie mich meinem Text näher. Mal sehen, wie ich in sechs Monaten drüber denke, aber gerade finde ich das hilfreich. Es gibt mir das Gefühl, dass es voran geht.
Täglich schreiben schaffe ich nicht, aber wenn ich drei oder vier Mal pro Woche eine Stunde schreibe (aus der dann mitunter zwei werden), bin ich schon gut dabei. JedeR muss halt suchen, was für ihn/sie passt.
Zauberfeder:
Sowas könnte ich mir auch nie im Leben vorher überlegen. Ich glaube, für sowas bin ich beim Schreiben nicht durchdacht genug bzw. würde mich wohl auch zu sehr einengen. Ein bisschen Freiraum beim Schreiben ist nicht schlecht und ganz Gespräche planen, damit so etwas entsteht, kann ich nicht. Sowas würde sich bei mir auch beim Schreiben ergeben.
Und klar, jeder Satz, den du schreibst, bringt dich deiner Geschichte näher, selbst wenn er letztlich für die Mülltonne ist. Genauso sieht es auch mit ganzen Szenen aus. Verkehrt sind sie nie.
Das auf jeden Fall. Manche kommen gut damit zurecht, täglich zu schreiben und für andere ist das eben gar nichts, wozu ich gehöre. Ich kann das nicht. Ich schreibe eher tagelang/wochenlang (gerade eher monatelang) nicht und dann geht's wieder so richtig los.
Obwohl mich ja inzwischen schon der Gedanke abschreckt, dass ich, wenn ich wieder anfange zu schreiben, eine Rohfassung schreibe, weil das bedeutet, irgendwann hänge ich wieder ewig am Text und überarbeite und dann habe ich das Gefühl, dass ich nie voran komme, weil ich seit Jahren schon nur am ersten Band herumwerkle und den 2. mal vor Ewigkeiten geschrieben habe, aber wirklich weiterkommen tue ich nicht. Nervig.
Wie motiviert ihr euch denn dazu, dieses Wort 'Rohfassung' nicht als so negativ aufzufassen?
Mondstern:
--- Zitat von: Zauberfeder am 24 September 2016, 14:57:03 ---Wie motiviert ihr euch denn dazu, dieses Wort 'Rohfassung' nicht als so negativ aufzufassen?
--- Ende Zitat ---
In dem ich mich freue, eine „Rohfassung“ zu haben. 8)
Ich vergleiche Geschichten schreiben gern mit Häuser bauen. Ein Rohbau ist schon mal ein ganzes Stück Arbeit. Darauf kann man stolz sein. Vorher war auf dem Platz eine unberührte Wiese (also ein leeres Blatt)
Das Haus ist natürlich in diesem Zustand alles andere als bezugsfertig. Es ist aber die Grundform erkennbar und die nächsten Schritte können folgen.
In der Planungsphase sollte man sich aber schon Gedanken machen, was für ne Hütte man bauen will. Einfamilienhaus, Villa, Mietskaserne oder Hochhaus. Anderseits lässt sich das Haus, anders als das Reale; jederzeit aufstocken. Oder ein Anbau … Man kann es später Unterkellern (also Vorgeschichte – als Rückblende z.B. einbauen) Oder man hat drei „Häuser“ und zieht ne Mauer außenrum, dann ist es ein Dorf. Dörfer können Städte werden … (oder aus Modulen wird ein Roman)
Bei einem Rohbau geht es nicht um die Farbe der Wände, oder die Art der Tapeten. Auch Vorhänge sind noch kein Thema. Aber man sollte schon wissen, wo und wie viele Fenster man braucht/will. Oder anders gesagt … wohin die Reise gehen soll.
In meiner „Kreativphase“ zieh ich den Rohbau hoch, ändere auch schon mal den Grundriss und bereite auch benötige Anbauten (Nebenhandlungen) vor und tipp einfach meine Gedanken nieder. Vertipper ignoriere ich in dem Stadium, wenn mir ein Wort nicht einfällt setze ich drei xxx und schreib vielleicht ein ähnliches. Beim ersten Überarbeiten fällt mir dann meist auch das richtige ein.
Wieso mach ich das?
Weil die Farbe der Wände noch keine Rolle spielt. Mich würde das aus dem Schreibfluss reißen und ich sitz dann ne Stunde an einem Abschnitt. Finde ich sehr unbefriedigend.
Schreibratgeber sind – wie der Name ja sagt – Ratgeber. Hier muss sich jeder einfach das raussuchen, was für ihn passt. Schreiben ist für mich auch – hört sich jetzt komisch an – das nachsinnen. In Gedanken spiele ich Szenen durch oder teste verschiedene Wege, die zu meinem auserkorenen Ziel führen (sollen) Dazu mach ich mir dann aber Notizen. Hilf mir dann auch, wenn ich paar Tage wieder den Faden aufnehmen will.
Eins der beeindruckensten Bücher die ich je gelesen habe, ist Die Wohlgesinnten (ein Tatsachenroman des Schriftstellers Jonathan Littell, der eine fiktive Biographie mit realen Ereignissen und Personen des Holocausts verbindet. Quelle Wiki)
Ich hab mal gelesen, dass der Autor über vier Jahre für das Buch recherchiert hat. Es dann in drei Monaten niedergeschrieben hat. Also ist Recherche richtige Arbeit. Und wer keine Ideen hat, der wird wohl auch kaum was schreiben können.
Eine Rohfassung ist ein Bauabschnitt, auf dem man stolz sein sollte. ;)
VG Mondstern
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