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  • #1 von diffusSchall am 27 Aug 2022
  • Hallo Federteufel,

    ich habe ein Nachschlagewerk für mich entdeckt, dass ich in dieser Form noch nie gesehen habe:

    The Emotion Thesaurus: A Writer´s Guide to Character Expression

    von
    Angela Ackerman & Becca Puglisi

    Es gibt das Buch meines Wissens leider nicht in einer deutschen Übersetzung. Jedenfalls habe ich dazu nichts gefunden.
    Wer der englischen Sprache aber einigermaßen mächtig ist, für den kann das Buch enorm wertvoll sein.

    Es listet in alphabetischer Reihenfolge Emotionen auf und gibt unter den entsprechenden Begriffen Beispiele und Beschreibungen an die Hand, wie diese beschrieben werden können. Typische Emotionen sind Wut, Bitterkeit, Verwirrung, Neugier, Kraftlosigkeit, Schock, Liebe, Nervosität usw.
    Zu jedem Begriff finden sich eine klare Definition und Beispiele zur passenden Körpersprache, zur inneren (Körper-)Reaktion, zur mentalen Reaktion, akute länger anhaltenden Reaktionen auf die Emotion, Beschreibung von Unterdrückungsanzeichen, Beschreibung zu welchem nächsten Gefühl der Zustand eskalieren oder deeskalieren kann und schließlich eine Auflistung assoziierter Verben.

    Ein Beispiel - Wut

    Definition:
    starkes Missfallen oder Zorn, üblicherweise ausgelöst durch ein wahrgenommenes Unrecht

    Körpersprache:
    aufgeblähte Nasenflügel
    geräuschvolles Atmen
    hohes Kinn
    Objekte / Menschen werden grob behandelt
    Schwitzen
    aufpoppende Augen
    Finger und Muskeln angespannt
    schmale Lippen
    ...

    innere Reaktion:
    Zähneknirschen
    Muskelzittern
    erhöhter Puls
    Herzrasen
    Körperspannung
    Hitzewallung

    Mentale Antwort:
    Reizbarkeit
    Unvermögen zuzuhören
    sprunghafte Schlussfolgerungen
    irritierende, inkonsequente Reaktionen
    direkte Aktion einfordernd
    unverhältnismäßige Reaktion/Aktion/Risikobereitschaft
    Gewaltphantasie

    Akut- und Langzeit-Reaktionen auf diese Emotion:
    Explodiert wegen Kleinigkeiten
    Wut im Straßenverkehr
    Hypertonie
    Magengeschwür
    Hautprobleme, Ekzeme, Akne
    Selbstverletzung als Ventil
    Längere Erholungszeit bei Krankheit, Verletzung, Trauma
    lässt Wut an anderen Unbeteiligten aus

    Anzeichen der Unterdrückung:
    betont kontrollierte(r) Sprache/Tonfall
    betont ruhiges, kontrolliertes Atmen
    passiv-aggressive Kommentare
    vermeidet Augenkontakt
    Rückzug vom Dialog
    kurzfristiger Rückzug aus Szenerie
    Kopfschmerzen
    Kieferschmerzen

    Eskaliert zu:
    Zorn, Hass, Besessenheit, Rachegefühl

    Deeskaliert zu:
    Bitterkeit, Frustration, Irritation, Abscheu, Hilflosigkeit

    Assoziierte Verben:
    explodieren, entflammen, schreien, erzürnen, lodern, verzehren, provozieren, zittern, kochen usw.

    In dem Buch sind über 130 Emotionen auf diese Weise beschrieben. Das ist ne ganze Menge direktes Handwerkszeug, was einem da als Autor zur Verfügung gestellt wird. Ich kann mir gut vorstellen, dass ich das Buch in Zukunft beim Erstellen meiner Charakteren nicht mehr aus der Hand nehmen werde.

    Wem die englische Sprache einigermaßen zugänglich ist, der kommt gut mit dem Buch klar. Wenn man sich mit einem Gefühl und seiner Darstellung wirklich auseinander setzen will, dann hat man sich auch mit rudimentären Sprachkenntnissen und dem Google Translator rasch eine gute Arbeitsgrundlage geschaffen.

    Ich kann es jedem nur wärmstens empfehlen!


    Liebe Grüße - Frank
  • #2 von merin am 28 Aug 2022
  • Lieber Frank,

    interessant. Ich überlege noch, ob ich den Ansatz mag oder nicht. Es wirkt erstmal praktisch, enthebt mich aber der Mühe, mir zu überlegen, wie Prota xy gestrickt ist, wie die Person Emotionen ausdrückt usw. Und ob das sich für meine Arbeit langfristig lohnt, scheint mir fraglich. Wütende Leute sind ja sehr verschieden.

    LG
    merin
  • #3 von diffusSchall am 28 Aug 2022
  • Hi merin,

    das ist kein Gefühlsbaukasten für Charaktere. Es enthebt mich nicht von der Verantwortung der Ausgestaltung meiner Protas/Antas. Das ist im Grunde wie eine Farbpalette der Gefühle und ihrer Ausdrucksmöglichkeiten.
    Wenn ich entschieden habe, welche Gefühle meine Protas/Antas bewegen, dann kann ich aus dieser Palette schöpfen. Aber für die Eigenständigkeit und die Kanten der Charakteren muss ich als Autor nach wie vor Sorge tragen. Es ist ein Werkzeug. Ich muss das Rad nicht neu erfinden.

    Wut, ist sehr plakativ und bewusst als Beispiel von mir gewählt, um zu zeigen, wie das Buch vorgeht.
    Bei über 130 Emotionen sind eine Menge dabei, wo ich spontan auf dem Schlauch stehe, wenn ich die konkret in Worte fassen müsste. Allein eine klare konkrete Definition dazu zu lesen, ist schon ein echte Hilfe, wenn ich fest stecke.


    Cheers - Frank

  • #4 von merin am 28 Aug 2022
  • Ja, das leuchtet mir ein. Mich erinnert der Ansatz spontan an manche verhaltenstherapeutische Arbeitsmaterialien zur Affektdifferenzierung. Das kann ja durchaus hilfreich sein, um sich - auch beim Schreiben - zu sortieren.
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