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Der Wächter des Hauses

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Lionel Eschenbach:
In einer Röstung von euch, wurde gesagt, ich müsste dichter an den Prota heran.

Paul hatte gesagt, ich solle mit Kurzgeschichten anfangen und nicht mit einem Roman. Ich finde aus vielerlei Gründen Kurzgeschichten einfacher. Aber im Augenblick mag ich komplexe Romane. Der Vorteil an einer Kurzgeschichte ist, dass auf kurzen Raum etwas Wesentliches geschrieben werden kann. Es gibt kein Vorher, kein Nachher. Nur den Moment.

Hier eine Kurzgeschichte, die aus einem Schreibprojekt entstanden ist. Nur zwei Seiten Text.

Frage, bin ich hier näher an meinem Prota als bislang in meinem Roman? :)

Das Schreibprojekt war wie folgt. Wir haben ein Bild bekommen und mussten daraus eine Geschichte machen.


Der Wächter des Hauses.

Sein Blick verfolgte mich. Seit ich mich erinnern kann, wachte er vor dem Haus. Nie hat er gelächelt. In stoischer Ruhe trotzte er Schnee und Sturm. Die Zeit konnte ihm nichts anhaben. Nur die Farben waren verblasst. Das Rot der Mütze war ein schmutziges Braun.
»Tut mir leid«, sagte ich. Ein Stück vom Ohr fehlte. Ich hätte ihn nicht mit Steinen bewerfen sollen. Damals als Kind.
»So behandelt man keine Menschen«, hatte meine Mutter gesagt, wenn er verschwand. Am nächsten Tag war er wieder da. Ich war ein Kind gewesem. War es wirklich  schon vierzig Jahre her?
»So behandelt man keine Menschen«, wieder hörte ich ihre Stimme in mir, als stünde sie am offenen Fenster. Mit vorwurfsvollen Blick. Mir wurde schwer ums Herz. Als Student hatte ich mich ereifert, meine Mutter davon zu überzeugen, den Gartenzwerg in die Tonne zu werfen. »Ich mag ihn, er bleibt, wo er ist«, antworte sie und wusch meine Wäsche.
Du hättest öfter kommen müssen, schrie er mich still an. »Sei still«, sagte ich und schaute über den Zaun.
Im Kübel stapelten sich die Blätter. Ein Windzug wirbelte einige heraus. Sie hatte es nicht mehr geschafft, sie zum Komposthaufen zu bringen. Ich biss die Zähne zusammen und vermied, ihn anzusehen. Der Stacheldraht muss gemacht werden, hatte sie gesagt, als sie schon schwach war. Ein Pfahl war vom Sturm umgeknickt. Schuldgefühle schnürrten meine Kehle zu. Überall lagen vertrocknete Blätter herum und der Rasen war braun.
Bevor ich in die Welt auszog, musste ich ihn mähen und im Herbst die Blätter einsammeln und verbrennen. Darauf bestand sie. Könnte ich es  heute noch tun. Mich danach auf die alte Küchenbank setzen, um Apfelkuchen mit Sahne zu essen.
»Tut mir leid«, sagte ich leise. Er antwortete nicht. Ich erinnerte mich, wie ich einmal mit dem Rasenmäher über ihn gefahren bin. Die Kratzer auf seiner Mütze mahnten mich, so behandelt man keine Menschen.
Ich blickte zum Haus. Alles war mir so vertraut. Die alten weißen Vorhänge. Der Plastikpinguin hinter dem Fenster. Auch von ihm konnte sich meine Mutter nicht trennen. Sie liebte diesen künstlichen Firlefanz. Das Haus, wie ich, wir waren alt geworden. Die Fassade sah schäbig aus. Farbe würde ihr gut tun. Aber dafür war meine Mutter zu schwach gewesen und ich hatte ein Leben in einer anderen Stadt.
Irgendwann kamen die Pfleger, sie saß im Rollstuhl am Fenster, wenn ich sie besuchte.
Ich musste  durchatmen. Ich war auch schon im Herbst des Lebens. Er kommt schneller, als man denkt. Ich blickte zum Zwerg zurück und die Erinnerungen meiner Kindheit schossen mir in den Kopf. Es waren unbeschwerte Zeiten gewesen. Das hier ist meine Heimat, dachte ich. Aber der Satz schmeckte fahl. Seit über dreißig Jahren wohnte ich in einer anderen Stadt, in einem Haus mit Garten. Ohne einen Gartenzwerg. Heute bat ich meine Kinder, den Rasen zu mähen und die Blätter einzusammeln. Doch nun fühlte sich mein Elternhaus wieder wie warmer Apfelkuchen an. Ein warmes Gefühl ließ meine Haut kribbeln. Er schien es zu spüren. Ein Blick reichte. Als ich hier wohnte, dachte ich selten an die Vergangenheit, ich wollte immer nach vorne schauen. Das Leben lag vor, nicht hinter mir. Aber jetzt, wo ich den Gartenzwerg sah, wollte ich zurückblicken. Wollte jede Sekunde bewahren, die sich in mir aufdrängte. Ich strich mit meiner Hand über die Holzlatte. Sie war grau und verwittert.
Aber ich hätte nicht häufiger kommen können. Vier Stunden Autofahrt um zurückzukehren. Ursula mochte keine langen Autofahrten. Kannten wir uns wirklich schon 27 Jahre? Fin war auch schon 18 und Ben 21.
Im Nachhinein sind wir immer schlauer. Ich hätte sie öfter besuchen müssen. »Und natürlich dich«, sagte ich und schluckte. Erst fing es mit leichten Rückenschmerzen an. Ipoprophen reichte irgendwann nicht mehr. Sie ging zum Arzt. Es war nicht der Zahn der Zeit, der an ihr genagt hatte. Der Krebs war schon fortgeschritten. Ich nahm Urlaub, stieg ins Auto und begleitete sie zu den Ärzten. Verdammt. Ich musste doch  arbeiten. Die Hypothek ist erst nächstes Jahr abbezahlt.
An meinem Kinderzimmer waren keine Vorhänge. Diese 15 Quadratmeter waren damals mein Königreich gewesen. Dort las ich die Bravo. Das Haus und der Gartenzwerg hatten mich wie meine Mutter geschützt.
»So behandelt man keine Menschen. Ich weiß Mutter, ich habe gelernt«, sagte ich leise.
Ich ging zum Gartentor, es quietschte. Viel musste getan werden, um das alles hier wieder in Schuss zu bringen. Aber ich hatte ein eigenes Haus in einer anderen Stadt. Letztes Jahr hatte ich den Dachboden ausgebaut und einen Teich angelegt. Auf der Terasse grille ich mit meinen Freunden. Ein Leben in einer anderen Stadt in einem anderen Haus.
Ich habe über dich gewacht, als das hier deine Heimat war, drängten sich die Worte des Gartenzwerges in meine Schuldgefühle. Du hättest häufiger kommen müssen, fügte er an. Ich seufzte. Ich war es, der den Rollstuhl in das Zimmer geschoben hatte. Eine große Fensterfront, draußen hoppelten Hasen über den Rasen. Wenn ein Krankenzimmer in einen Garten führt, ist es ernst. »Gieß die Blumen, wenn du zurück bist. Und lass ihn in Ruhe«, hatte sie mit leiser Stimme gesagt. Sie war voller Hoffnung, doch sie verlor. Das war vor vier Monaten. Die Zeit verstrich. Entscheidungen mussten getroffen werden.

Fremden Leute kamen aus dem Haus. Ich konnte aus den Gesichtern lesen, dass mein Elternhaus mir nicht mehr gehörte. Der Makler schloss die Tür. »Sie werden das Haus kaufen, zu dem Preis, den wir abgesprochen haben.« Freude wollte in mir nicht aufkommen. Ich blickte nach rechts und meine Schritte waren leicht, fast schon rannte ich. Ich bügte mich, nahm ihn auf. »Ich nehme ihn mit«, sagte ich. Die Käufer lächelten.
»Gerne, wir hätten ihn eh wegeworfen, diese Dekoration ist nicht mehr zeitgemäß.«
Die Blätter raschelten, als ich mich ins Auto setzte.
Mein Wächter saß auf dem Beifahrersitz und er schien zu lächeln.

merin:
Sorry, da muss ich erstmal schließen. Einen Text pro Woche lautet die Regel. Bei Einzelsatzröstungen machen wir gern eine Ausnahme, aber das ist hier nicht der Fall. Am 18.4. mach ich wieder auf.

Viskey:
Der 18. 4. kam und ging ...

Hier ist somit (mit 2 Tagen Verspätung, bitte um Entschuldigung dafür) wieder offen.

merin:
Oh ja, stimmt. Sorry auch nochmal von mir.

Lionel Eschenbach:
Danke, habe - grummel - einige Formatierungsfehler korrigiert, die beim Reinkopieren entstanden sind.
Das wäre aber eine Geschichte, selbst wenn einiges noch geschärft werden müsste, die ich irgendwann mal bein einer Ausschreibung einreichen würde.

Sorry, dass ich die Regeln missachtete, war keine Absicht.

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