28 March 2024, 14:08:22

Autor Thema: Irrungen und Wirrungen bei der Perspektive  (Gelesen 7446 mal)

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Lionel Eschenbach

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Re: Nein, nein, nein - das wird so nix ...
« Antwort #15 am: 12 May 2021, 20:26:05 »
Nope!!

Es gibt immer den Erzähler, der eben nur in verschiedenen Funktionen sich in den Roman einschaltet.

Der auktoriale Erzähler weiß alles, kann in alle Köpfe eindringen, wie er will.
Der personale Erzähler - mehr oder minder - gibt die Geschichten nur aus den Köpfen der Handelnden wieder, er weiß nur, was sie wissen.
Der neutrale Erzähler betrachtet es mehr oder minder nur von oben, gibt wieder, was er hört und sieht. Kommt aber nicht an die Gedanken der Figuren ran.
Der Ich-Erzähler unterliegt noch mehr der Perspektive desjenigen, in den er schlüpft.

Um es hier mal kompliziert auszudrücken, selbst wenn du die Hauptfigur, der in manchen Szenen als Ich-Erzähler auftritt, dann in die Erzählerperspektive wechseln lässt, dann gibt es immer noch den Erzähler, der wiedergibt, was der andere Erzähler gerade sagt, denkt, fühlt, sieht. Denn es gibt immer den Erzähler, der die Geschichte erzählt.

Und das wäre wohl eine neue Kategorie des Erzählers, jenseits von auktorial, personal, neutral und Ich-Form.

Bei dir wäre es so.

Der Erzähler dringt in den Kopf des Ich-Erzählers, sagen wir Kapitel 1.
Wenn dann der Ich-Erzähler zum Erzähler wird, dann ist der andere Erzähler immer noch im Kopf des Erzählers.

Ok, komische Sätze.

Daher muss ja eben der Leser plausibel nachvollziehen können, wie dieser Wechsel möglich ist.

Also, der Ich-Erzähler erlebt irgendwas in seinem Kapitel. Wenn er jetzt zum Erzähler wird, dann könnte es vielleicht so sein.

Der Erzähler macht klar, dass er nun über die Vergangenheit berichtet, was er erlebt hat, was er glaubt, was die anderen gesagt, erlebt und gefühlt haben mochten. Er kommentiert also nur die Vergangenheit und stellt sie szenisch da, und wenn er nicht magische Fähigkeiten hat, wird er nie die Gedanken wiedergeben können!!!

Hier ist es schlicht nicht möglich, das der Ich-Erzähler an die Gedanken der anderen herankommt. Da wäre ich auf deine Erklärung gespannt, wie du das Problem für den Leser auflösen willst.

Und wenn du ganz viel Zeit hast :)

    Bauer, Matthias: Romantheorie und Erzählforschung. Eine Einführung. Stuttgart, Metzler Verlag 2005, ISBN: 978-3476020796
    Stanzel, Franz K.: Theorie des Erzählens. Stuttgart, UTB 2002, ISBN: 978-3825209049
    Vogt, Jochen: Aspekte erzählender Prosa. Eine Einführung in Erzähltechnik und Romantheorie. Stuttgart, UTB 2008, ISBN: 978-3825227616
« Letzte Änderung: 12 May 2021, 20:38:58 von Lionel Eschenbach »

merin

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Re: Nein, nein, nein - das wird so nix ...
« Antwort #16 am: 12 May 2021, 20:41:23 »
Das sehe ich anders, Lionel. Denn wenn ein Roman verschiedene Perspektiven hat, dann hat jede Perspektive ihre:n eigene:n Erzähler:innen. So wie die Bibel auch verschiedene Autor:innen und Erzähler:innen hat.

Und um es noch komplizierter zu machen: Natürlich kann es einen allwissenden Ich-Erzählenden geben. Ich kann mir vorstellen, einen Roman aus der Perspektive von Gott zu schreiben. Oder aus der Perspektive eines Geistes. Ich brauche halt eine Erklärung, warum die erzählende Person das alles weiß, aber so lange die da ist, können auch Ich-Erzähler:innen alles.
Ich röste zunächst immer, ohne andere Röstungen zur Kenntnis zu nehmen. Dabei ist mein Ansatz der, eine qualifizierte Lesermeinung abzugeben, Euch also zu verraten, wie der Text auf mich wirkt und wie es mir beim Lesen geht und was ich gern anders hätte.

Lionel Eschenbach

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Re: Nein, nein, nein - das wird so nix ...
« Antwort #17 am: 12 May 2021, 20:51:17 »
Ja, aber es braucht eine Erklärung, oder?

merin

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Re: Nein, nein, nein - das wird so nix ...
« Antwort #18 am: 12 May 2021, 21:10:01 »
Kommt drauf an wofür.

Zitat
Der Erzähler dringt in den Kopf des Ich-Erzählers, sagen wir Kapitel 1.
Wenn dann der Ich-Erzähler zum Erzähler wird, dann ist der andere Erzähler immer noch im Kopf des Erzählers.

Ok, komische Sätze.

Daher muss ja eben der Leser plausibel nachvollziehen können, wie dieser Wechsel möglich ist.

Ich glaube, du verwechselst hier Autor:in und Erzähler:in und Perspektivträger:in. Das alles kann identisch sein (im Falle des biografischen Romans), aber es können auch drei verschiedene Figuren sein.
Meistens ist die Autor:in nicht identisch mit Perspektivträger:in oder Erzähler:in. Bei der Ich-Erzählung sind dann Perspektivträger:in und Erzähler:in meist identisch. Nehmen wir an, eine Erzählung ist von zwei Erzählenden berichtet. A und B. Jede dieser virtuellen Personen hat je eine Perspektive und erzählt aus dieser heraus. Dann muss es keine Begründung für den Wechsel geben. Aber der Wechsel ist für Lesende angenehmer, wenn er irgendwie nachvollziehbar ist. Und am besten wird natürlich Person B eingeführt. Muss aber auch nicht sein. Es gibt eine Menge moderne Romane, wo mehrere erstmal völlig separate Stränge mit verschiedenen Perspektivträger:innen beginnen und erst irgendwann zusammenlaufen. Nur wenn sie nie zusammenlaufen, dann frage ich mich als Lesende, wieso mir das beides in einem Roman erzählt wird.
Wobei es auch fragmentarische Formen gibt. Cloud-Atlas als Film fällt mir da ein. Also alles nicht so einfach.

Was mir noch ein Anliegen ist: nolimit, kannst du den Threadtitel bitte so ändern, dass klar wird, dass es um Perspektivfragen geht? Dann können auch andere Interessierte das leichter finden und lesen. Danke.
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Lionel Eschenbach

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Re: Nein, nein, nein - das wird so nix ...
« Antwort #19 am: 12 May 2021, 21:31:56 »
https://die-schreibtechnikerin.de/literaturwissenschaft-definitionen-modelle/erzaehltheorie/stanzel-typenkreis/
https://wortwuchs.net/fokalisierung/

Im ersten Link steht u.a.

Opposition von Nichtidentität der Seinsbereiche von Erzähler und Figuren und Identität der Seinsbereiche von Erzähler und Figuren

Nichtidentität der Seinsbereiche von Erzähler und Figuren: der Erzähler befindet sich nicht in der Welt der Figuren

Das meinte ich. Erzähler ist nie die Figur, er berichtet nur über sie. Wie kann aber dann die Figur zum Erzähler werden. Das erschließt sich mir noch nicht.

merin

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Re: Nein, nein, nein - das wird so nix ...
« Antwort #20 am: 12 May 2021, 22:15:42 »
Lionel, das ist ein interessantes Modell, das du da verlinkt hast. Und selbst ich, die ziemlich viel über Narratologie weiß (weil ich mich im Rahmen meiner Dissertation damit beschäftigt habe und sie zu meinem Job gehört), kann das nicht sofort erfassen. Ich sehe mich auch überfordert damit, es jetzt am Abend noch zu verstehen und zu übersetzen. Nur soviel: Du hast es falsch verstanden. Die von dir aus dem Zusammenhang gerissenen Zitate beschreiben jeweils die Achsen des Modells, die als Kontinuum verstanden werden. Auf der einen Seite also die Identität der Bereiche von Erzählendem und Figur, auf der anderen die Nichtidentität der beiden.

Das Modell macht sehr schön klar, dass der Erzähler auch Figur sein kann, aber nicht muss.
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June

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Re: Nein, nein, nein - das wird so nix ...
« Antwort #21 am: 13 May 2021, 07:44:30 »
Hab ich also schon richtig verstanden ... und ich bleib dabei: ich rate ab.
Aber der Link ist cool, danke @Lionel  :cheer:
"What we call imagination is actually the universal library of what's real. You couldn't imagine it if it weren't real somewhere, sometime." Terence McKenna

nolimit

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Re: Nein, nein, nein - das wird so nix ...
« Antwort #22 am: 13 May 2021, 08:11:54 »
Zitat
Einen Perspektivenwechsel sehe ich z. B. als geboten, wenn in einem Kapitel zunächst der Prota (also der Autor) aus seiner Sicht erzählt. Im Verlauf der Handlung in diesem Kapitel entfernt sich der Prota sozusagen aus der Handlung, mit den anderen Personen (Neben-Protas) wird aber die Handlung weitergeführt. Das kann der Prota aber nicht aus der Ich-Perspektive erzählen, er ist ja nicht mehr dabei - also ein Wechsel.

Die für mich zentrale Frage ist: Warum müssen diese Sachen erzählt werden? Wofür braucht der Text sie, wenn der Prota sie nicht erlebt?

Weil genau diese Ereignisse für den Fortgang der Geschichte wichtig sind. Hier wird sozusagen die Basis gelegt für die Ereignisse Jahrzehnte später.

nolimit

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Re: Nein, nein, nein - das wird so nix ...
« Antwort #23 am: 13 May 2021, 08:20:41 »

Was mir noch ein Anliegen ist: nolimit, kannst du den Threadtitel bitte so ändern, dass klar wird, dass es um Perspektivfragen geht? Dann können auch andere Interessierte das leichter finden und lesen. Danke.
Würde ich gerne machen, wenn ich denn finden würde, wie und wo das geht
Wenn das ein Moderator für mich übernehmen könnte .. als neuen Titel denke ich an
"Irrungen und Wirrungen bei der Perspektive"

Danke
HG
nolimit

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Re: Nein, nein, nein - das wird so nix ...
« Antwort #24 am: 13 May 2021, 10:55:49 »
Zitat
Weil genau diese Ereignisse für den Fortgang der Geschichte wichtig sind. Hier wird sozusagen die Basis gelegt für die Ereignisse Jahrzehnte später.

Wie geht das? Also die Basis, ohne dass er dabei ist und ohne dass die Leute später vorkommen? Vielleicht musst du da mal konkret werden, wenn ich dir da helfen soll.

Zitat
Würde ich gerne machen, wenn ich denn finden würde, wie und wo das geht
Wenn das ein Moderator für mich übernehmen könnte .. als neuen Titel denke ich an
"Irrungen und Wirrungen bei der Perspektive"

Auf deinen ersten Post dieses Strangs gehen, ändern klicken, Titel ändern (oben in der Titelzeile). Wenn du nicht klarkommst, mach ich es, aber vielleicht klappt es ja mit dieser Anleitung.
Ich röste zunächst immer, ohne andere Röstungen zur Kenntnis zu nehmen. Dabei ist mein Ansatz der, eine qualifizierte Lesermeinung abzugeben, Euch also zu verraten, wie der Text auf mich wirkt und wie es mir beim Lesen geht und was ich gern anders hätte.

nolimit

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Re: Nein, nein, nein - das wird so nix ...
« Antwort #25 am: 13 May 2021, 11:09:51 »
Hallo nolimit,
ich kann dazu nicht recht was sagen, weil ich die Grundidee des Textes nicht verstehe. Warum kommen beispielsweise in Kapitel 2 und 3 gleich drei Leute vor, die nie wieder eine Rolle spielen?
Diese hab ich inzwischen entfernt, nach dreimaligem Lesen wurde mir klar, dass diese Kapitel tatsächlich nichts in der Geschichte zu suchen haben, sie hätten sie Auflösung vorweg genommen

Hmmm, ich weiß nicht so recht.
Wahrscheinlich wäre es hier hilfreicher, irgendwann einen Text von dir zu rösten , in dem du z.B. damit rumexperimentierst in einem Kapitel die Erzählperspektive zu ändern.
Kann ich sofort machen - darf der Text hier in diesem Fred, oder muss er in die Rösterei
(egal wo, das Ding ist ziemlich lang und enthält die Erinnerungen des Autors, und mehrere Perspoektivwechsel)

HG
nolimit




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Re: Irrungen und Wirrungen bei der Perspektive
« Antwort #26 am: 13 May 2021, 11:42:58 »
nolimit, der Text muss dann in die Rösterei. Aber bevor du ihn reinstellst, würde ich dich bitten, dich auch an Threads zu beteiligen, in denen es nicht um deinen Text geht. Sonst wirkt das Ganze zumindest auf mich ziemlich einseitig.

Ansonsten würde ich dir raten, mal wirklich klassisch ein Exposé zu schreiben: Pitch, Prämisse (nur für dich, nciht fürs Exposé), Inhaltsangabe. Dann wirst du klarer sehen.
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Re: Irrungen und Wirrungen bei der Perspektive
« Antwort #27 am: 13 May 2021, 17:14:12 »
Natürlich, es eilt ja nicht mit der Röstung. Dann gehe ich mal die Threads durch, und hoffe, dass ich zu dem einen oder anderen etwas sagen kann

HG
nolimit

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Re: Irrungen und Wirrungen bei der Perspektive
« Antwort #28 am: 29 December 2021, 10:29:14 »
Hi Nolimit, vielleicht hat sich das schon erledigt … Zwei Gedanken von mir dazu: 1. Für den Leser ist es zweitrangig ob es Fiktion oder wahre Ereignisse sind, er/sie ist kein Historiker. Die richtige Mischung schafft Spannung. 2. Erzählperspektiven: Bei mir hängt es an den Figuren, nur ein Protagonist erzählt aus der Ich-Perspektive. Er spricht den Leser sogar an. Habe es für die Nebenhandlung für fünf Kapitel so gewählt, weil die Figur historisch real, aber am weitesten Weg von der Handlung ist. Alles andere (43 K) ist aus der Beobachter-Perspektive, sogar die Begegnung der Stipendiaten mit dem Ich-Erzähler…

Jeder Protagonist hat seinen eigenen Rhythmus, Familensaga, Thriller, Action bzw. philosophische Gedanken

Hoffe das hilft dir weiter, die Protagonisten bestimmen den Erzählstil und die Geschwindigkeit der Handlung

Federgrüße
Maks
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