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Was macht eine richtig gute Geschichte aus?

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merin:
Hi Ihr!

ich lese ja in den letzten zwei Jahren sehr viel zeitgenössische deutsche Science Fiction und tausche mich mit Leuten darüber aus. Dabei fällt mir immer mehr auf, wie verschieden Texte aufgenommen werden. Wo ich sage "genial!" zuckt eine andere Person nur mit den Schultern, und was ich grottenschlecht finde, lobt jemand in den Himmel. Daher würde ich mich gern mit euch austauschen, wie ihr das seht: Was macht eine richtig gute Geschichte aus? Ich würde mich hier gern auf Kurzgeschichten fokussieren, wir können, wenn wir Lust haben,  auch noch überlegen, ob das sich beim Roman unterscheidet oder nicht.

Für mich ist der Hauptpunkt tatsächlich der, ob mich der Text berührt. Texte, die mich unterhalten, sind gut und die lese ich gern. Aber damit ein Text so richtig, richtig gut ist, muss er Emotionen bei mir auslösen (und damit meine ich jetzt nicht den Ärger über schlechten Schreibstil  :diablo:). Und, wie ich bei mir beobachtet habe, Emotionen entstehen bei mir an zwei Stellen:
- durch Charaktere, mit denen ich mich identifiziere (oder auch gerade nicht)
- durch gelungen geschilderte Stimmung oder Atmosphäre.

Dagegen ist mir ein guter Plot nicht so wichtig und auch Spannung ist zwar für den Unterhaltungswert gut und wird genossen, aber zum perfekten Text trägt sie für mich relativ wenig bei.

Und dann muss ein guter Text für mich noch sprachlich schön sein. So richtig schön schön, mit Sätzen, die ich gern mehrfach lese, weil sie so schööön. Sind.

Wie ist das bei euch?

LG
merin

Cimglett:
Hey merin!

Das finde ich eine schöne Idee. Und muss deshalb gleich meinen Senf dazugeben.

Thema Emotionen: Ja, auf jeden Fall, aber bei mir ist das tatsächlich nicht das Hauptkriterium. Denn ich habe auch schon bei Texten regelrecht mitgefiebert, die nur mittelmäßig geschrieben waren. (Und Ärger über schlechte Texte: Manchmal habe ich schon Textstellen abfotografiert, weil ich es nicht fassen konnte, WIE schlecht die waren. Und sowas wird veröffentlicht!  :devgrin:).

Bei mir steht und fällt Vieles mit den Charakteren, was aber nicht notwendigerweise mit Emotionen zusammenhängen muss. Ich liebe es, wenn Charaktere
- präzise geschildert sind, wenn also auf unaufdringliche Weise so wahnsinnig treffende Details erwähnt werden, durch die die Person lebendig wird
- irgendwie ungewöhnlich sind, und damit meine ich nicht ungewöhnlich im Vergleich mit echten Menschen, sondern im Vergleich mit anderen Buchcharakteren.

Und der Plot ist mir gar nicht so unwichtig. Neulich habe ich Herr aller Dinge gelesen, da fand ich die Grundidee einfach genial. Wenn eine Geschichte neu ist, wenn sie mich inspiriert, das macht für mich auch eine gute Geschichte aus.

Sprachlich schön ... da kann ich dir nur zustimmen: JA, JA, JA! :)

Viskey:
Oi, du fragst Sachen ...

Ein Text, der berührt ... da fängt's ja eigentlich schon an, weil wir alle von verschiedenen Dingen berührt werden. Etwas, das mich berührt, bemerkst du vielleicht nicht einmal. Etwas, das dich berührt, lässt mich vielleicht völlig kalt.

Spannung und schöne Sprache - sehe ich ähnlich.

Es gibt Autoren, die werden über den Klee gelobt, weil die Sprache so schön wäre, und ich finde sie einfach nur übertrieben und schwülstig.
Was wir schön finden, ist ja individuell verschieden, sonst gäbe es nicht so viele Varianten von allen möglichen Dingen, angefangen vom Kaffeegeschirr bis hin zu Ölgemälden. Ich mag's schlicht und klar. Ich kann bei anderen Stilen die handwerkliche Leistung würdigen, ich kann akzeptieren, dass andere den Stil schön finden. Aber mich wird er halt eher kalt lassen.

Und Spannung bedeutet doch eigentlich nur, dass man bei der Stange bleibt, dass man erfahren will, wie's weiter geht, dass man auf eine Lösung hinfiebert. Das kann aber auch auf vielen Ebenen stattfinden. Spannung ist nicht gleich Action, und unter dem Gesichtspunkt, dass im Grunde alles spannend sein kann, möchte ich behaupten, dass es ohne Spannung nicht geht.
Spannung kann auch auf Beziehungsebene stattfinden, etwas platt ausgedrückt das klassische "kriegen sie sich, oder kriegen sie sich nicht?".

Im Grunde stimme ich dir in allen Punkten zu (bis auf den Plot, der ist bei mir wichtig), und trotzdem schätze ich deinen und meinen Geschmack sehr verschieden ein, also das, was wir als richtig gutes Buch empfinden.

LG Viskey

merin:
Hach, spannend. Ich stimme dir absolut zu, Viskey: Menschen sind enorm verschieden und was mich berührt, lässt dich kalt und umgekehrt. Und auch beim Stil: Ich habe gerade einen SF-Text gelesen (eine Novelle in der Nova 31) und ich fand
1. das ist keine Novelle
2. der Stil ist anstrengend
3. der Prota ist so eklig, dem mag ich nicht folgen.

Und ich habe mich mit Leuten darüber ausgetauscht und die finden den Text alle suuuuper. Ich brauchte zwei Anläufe, um mich auch nur bis zum Ende durchzuquälen.

Insofern finde ich es enorm spannend, sich darüber auszutauschen, was uns jeweils gefällt oder bewegt. Einfach um diese Vielfalt mal aufzublättern.

Spannung - ja, du hast recht. Da gibt es das klassische suspense, aber Spannung entsteht auch auf ganz vielen anderen Ebenen. Bei Becky Chambers beispielsweise geht es oft viel mehr um Beziehungen und ich finde es sehr spannend. 

The_Reptilian:
Eine gute Geschichte sollte die Leser unaufdringlich in eine andere Welt beamen, wo sie trotz allem Exotismus sich selbst mit der Hauptfigur wiedererkennen können.

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