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VL1: Das Glasperlenspiel, Kapitel 7: Im Amte

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Viskey:
Inhaltlich passiert in diesem Kapitel herzlich wenig, wenn man nur oberflächlich auf Handlung sieht.

Ins Amt gewählt wurde Josef ja schon im Kapitel davor. Jetzt sehen wir Josef Knecht dabei zu, wie er sich in die Rolle hineinfindet. Und da gibt es dann doch ein paar Stellen, die ich sehr interessant gefunden habe.

Interessant als erstes, so als allgemeiner Eindruck des Kapitels: Er fügt sich mal wieder bestens in die Rolle, die ihm zugedacht wurde. ABER zum ersten Mal tut er das nicht blind und allein auf seinen Instinkt vertrauend, sondern wohlüberlegt und sich seiner Situation bewusst. Das finde ich nach all dem Gary Stu, das mich beim Glasperlenspiel so nervt, echt erfrischend.


Als zweites liest sich "Im Amte" zum Teil wie eine Liebeserklärung an das Glasperlenspiel, das aber seinen Zenit bereits überschritten hat, wie wir hier erfahren. Die Welt - und selbst die Kastalier, wie es scheint - ist nicht mehr so fasziniert und beeindruckt, wie sie das einmal war. Trotzdem hält Knecht eine flammende Rede für das Spiel

Auch die Elite, die hier schon oft zur Diskussion gestanden ist ( ;) ), verteidigt er voller Leidenschaft. Beides scheint (nur noch?) rein zum Selbstzweck zu existieren, woran sich Knecht aber nicht stört. Im Gegenteil, er findet es gut. - Für ihn scheinen diese beiden Dinge - Glasperlenspiel und geistige/intellektuelle Elite - der Kern Kastaliens zu sein, das, was Kastalien ausmacht.

Und das finde ich tatsächlich gut. Endlich einmal bekennt sich Knecht zu etwas, offen und direkt, statt ewig herumzueiern und sich herumschieben zu lassen. - Wobei letzteres schon im Kapitel davor besser geworden ist.

Mir gefällt auch, dass hier eine Rede für den Selbstzweck gehalten wird. Ich finde es ermüdend, in der heutigen Zeit, dass alles einem bestimmten Zweck dienlich sein soll. Wie das damals war, als Hesse das geschrieben hat ... keine Ahnung, ob es damals auch schon so war. Da wissen andere vermutlich besser Bescheid. Ich finde diese Rede und das Befürworten des Selbstzwecks sehr befreiend.

Bedenklich finde ich dann allerdings wieder den Teil, wo sich Knecht immer jüngeren Schülern zuwendet, und sich Schüler wünscht mit

--- Zitat ---... noch offeneren, bildsameren, erziehbareren Schülern
--- Ende Zitat ---

Warum das? Weil er seine eigenen Leute, die Kastalier, unbewusst leid ist? Oder will er sie möglichst früh "einfangen", um sie zum gleichen Leben heranzuziehen, das er führt? Wobei ich zu ersterer Interpretation tendiere, denn es heißt ja später, dass er von Gelehrten und Studierten umgeben und vom "einfachen Volk" ferngehalten wird.

Interessant auch, dass der alte Musikmeister offenbar den gleichen Wunsch hegte und - im Rahmen seiner Möglichkeiten - auslebte.


Und das ist natürlich der zweite, große Punkt, der dieses Kapitel ausmacht: Der alte Musikmeister. Der wird hier vom Großherzigen Gönner und Förderer noch einmal gesteigert, zum Verklärten, gar Heiligen. Da diese Entwicklung so lange und ausführlich vorbereitet wird,  gehe ich davon aus, dass sie sehr wichtig ist, weiß aber (noch) nicht, wofür. Da lass ich mich mal von den weiteren Kapiteln überraschen. :devgrin:


Und Tegularius rückt auch wieder in den Fokus, und zum ersten Mal bekommt er für mich auch ein Gesicht, eine Persönlichkeit. Und er tut mir leid. Weil er Knecht all diese guten Dinge zuschreibt, die lediglich Zufall waren. Und er lässt sich auch mit Freuden von Knecht einspannen, das Spiel für die jährliche Feier zu planen ... und für viele folgende ebenfalls. Und er begnügt sich mit dem Wissen, dass er daran beteiligt war. Für mich bis jetzt der sympathischste Typ im ganzen Buch.



Morwen:
Schöne Zusammenfassung. Ich picke mir nur mal ein paar Aspekte heraus...

Es gibt ja einiges an "Originalzitaten" von Knecht. Dass sich die Zitate stilistisch nicht wirklich vom Erzähler abheben, wurde ja anderswo schon erwähnt (ist mir hier aber mal wieder stark aufgefallen). Wie Viskey finde ich es aber auch sehr interessant quasi von Knecht direkt zu erfahren, wie er den "Kern" Kastaliens definiert, z.B. auch hier:

--- Zitat ---Der Geist unserer Provinz und unseres Ordens ist auf zwei Prinzipien gegründet: auf die Objektivität und Wahrheitsliebe im Studium, und auf die Pflege der meditativen Weisheit und Harmonie.
--- Ende Zitat ---
Das hört sich an wie der Entwurf eines Utopia, an dessen Idealen ich nichts auszusetzen habe. Im Gegenteil. Der "reinen, emotionslosen" Wissenschaft die Meditation zur "Erdung" hinzuzugeben, ist eine Idee Kastaliens, die mir richtig gut gefällt.

Dass Knecht sich offen und direkt zu dem Weg, den er da geht, bekennt, sehe ich zwar auch so. Aber ein "Hinterfragen" verbietet er sich dabei ja noch immer:

--- Zitat ---Er war einen anderen Weg gegangen, vielmehr geführt worden, und es kam nur darauf an, diesen ihm zugewiesenen Weg gerade und treu zu gehen, nicht ihn mit den Wegen anderer zu vergleichen.
--- Ende Zitat ---
Nur ja nicht neben die Spur geraten, ja nicht einmal neben der vorgegebenen Spur denken.

Mit der "Verklärung" des Musikmeisters bekommt der Orden für mich endgültig einen quasi-religiösen Anstrich (das Wort "Heiliger" fällt ja mehrfach). Wobei ich jetzt zu wenig über Buddhismus, Taoismus, Shintoismus und andere fernöstliche Religionen weiß, um sagen zu können, ob diese Art von Erleuchtung sich dort irgendwo einordnen lässt, oder ob der kastalische Weg zur "Vergeistigung" etwas Singuläres ist.

Viskey:

--- Zitat von: Morwen am 23 March 2014, 13:28:29 ---Dass Knecht sich offen und direkt zu dem Weg, den er da geht, bekennt, sehe ich zwar auch so. Aber ein "Hinterfragen" verbietet er sich dabei ja noch immer:

--- Zitat ---Er war einen anderen Weg gegangen, vielmehr geführt worden, und es kam nur darauf an, diesen ihm zugewiesenen Weg gerade und treu zu gehen, nicht ihn mit den Wegen anderer zu vergleichen.
--- Ende Zitat ---
Nur ja nicht neben die Spur geraten, ja nicht einmal neben der vorgegebenen Spur denken.

--- Ende Zitat ---

Bis zu einem gewissen Grad gebe ich dir recht.

Trotzdem ist es hier zum ersten Mal Knecht selbst, der die Entscheidung trifft, nicht über Alternativen nachzudenken, sondern das Leben anzunehmen, das ihm da beschieden wurde, und es nach bestem Wissen und Gewissen auszufüllen. Es steht niemand über ihm - ist auch keiner mehr da -, der ihn in eine Richtung bugsiert. Knecht sieht die Alternativen zum Leben als Magister, sieht auch durchaus die Verführungen dieser Alternativen, entscheidet sich dann aber dagegen. Er hat die Wahl angenommen - er hätte sie auch ablehnen können (oder ist das nur meine bescheidene Interpretation des Systems?). Dadurch, dass er die Wahl angenommen hat, hat er auch die Verantwortung angenommen, die an dieser Position hängen. Und für mein Empfinden handelt Knecht hier zum ersten Mal selbstbestimmt.

Morwen:
Da widerspreche ich dir gar nicht. Es ist seine eigene Entscheidung "in der Spur" zu bleiben. Ich denke, dass es einer Art "Pflichtgefühl" entspringt, was aber nicht im Gegensatz dazu stehen muss, dass er diese Pflicht bewusst und in gewisser Hinsicht selbstbestimmt auf sich nimmt.

Dani:

--- Zitat ---Bedenklich finde ich dann allerdings wieder den Teil, wo sich Knecht immer jüngeren Schülern zuwendet, und sich Schüler wünscht mit
Zitat

    ... noch offeneren, bildsameren, erziehbareren Schülern


Warum das? Weil er seine eigenen Leute, die Kastalier, unbewusst leid ist? Oder will er sie möglichst früh "einfangen", um sie zum gleichen Leben heranzuziehen, das er führt? Wobei ich zu ersterer Interpretation tendiere, denn es heißt ja später, dass er von Gelehrten und Studierten umgeben und vom "einfachen Volk" ferngehalten wird.
--- Ende Zitat ---

Hast recht, Bedenklich!
Genau deshalb hat Hesse das so gemacht, glaube ich zumindest.
Immer mehr glaube ich das er versucht zu beschreiben, wie man in einen Sog hinein gerät, und dann irgendwann wenn man Begreift was da wirklich mit einem Geschieht nicht mehr heraus kann.
Ich glaube so wird das Ding enden.

Knecht wird in diesem Teil des Buches wohl vom verführten zum Verführer was diese von dir hervorgehobene Textzeile wohl aussagen mag.
er sucht sich die richtigen Opfer gezielt aus, die beeinflussbaren, gehorsamen, dienstlichen die, die einen Führer suchen...

Bedenklich? Oh ja! Hesse sendet hier vielleicht eine Bootschaft ein bisschen komplizierter als der Film "Die Welle" aber es klappt.

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