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VL2: J.K. Rowling; Harry Potter Bd.1 - Kapitel 2

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Trippelschritt:
Nachdem ich mich nun voller Spannung und Vorfreude in das zweite Kapitel stürze, falle ich erst einmal über einen Zeitsprung. Gut so. Was interessiert mich die Kinderkrippe von Harry.

Die Dursleyfamilienidylle mit Vater Vernon und Mutter Petunia (wunderschöne Namen) wird dadurch getrübt, dass es einen heißtgeliebten Sohn Dudley (noch ein herrlicher Name) und einen ungeliebten Harry gibt. Zunächst wird also dieser Gegenpol aufgebaut. Dabei ist Dudley eine eigenwillige Konstruktion.
Er ist fett wie sein Vater, verwöhnt wie eine Zimtzicke, aber so nebenbei ein typischer Bully und Anführer einer Schülergang, was wohl vorwiegend auf seinem Machtanspruch und seiner Körperkraft beruht. Harry hingegen ist einfach nur schwächlich, aber dafür gewitzt und schnell und voller versteckter Möglichkeiten.
Der Kindergeburtstag mit einem dritten Jungen (Steigbügelhalter Piers Polkiss) gibt die Gelegenheit zum großen Konflikt, denn zum ersten mal kann die Familie Hary nicht entsorgen und muss ihn mitnehmen.

Bis zu diesem Punkt geschieht nichts anderes, als dass Figuren auf der Bühne aufmarschieren. Wichtig sind die Dursleys, weniger wichtig ist Harry, der wie eins Günther Netzer aus de rTiefe des Raumes zu kommen hat.

Eingestreut werden Schnipsel aus der Vergangenheit. Harry findet sich auf dem Schuldach wieder, oder seine Haare wachsen innerhalb einer Nacht wieder nach. Für mich ist das weniger überzeugend, weil es Harry bereits zuviel Macht zukommenlässt und die zukünftigen Überraschungen abschwächt.

Im Zoo unterhält sich Harry mit einer Boa Constricta und ein Trennglas zum Terrarium verschwindet. In Vernons Augen ist Harry Schuld und es gibt die nächste Strafe.

Nachdem Kapitel 1 magische und normale Welt gegenübergestellt hat, gwinnt Harry in Kapitel 2 an Profil. Weniger klar sind seine Gegenspieler. Es ist nicht zu erwarten, dass es um Dudley geht, denn dieser stammt aus der normalen Welt. Das ist nicht mehr als Aufgalopp. Der Boa könnte etwas Symbolkraft zukommen. Auf jeden Fall kommt das Wichtige noch, aber wöhrend man darauf wartet, hat man sich wenigstens gut unterhalten, weil der Schwache am Ende wieder die Nase vorn hatte.

Was mich stört, ist, dass Harry in einem Schrank unter der Treppe wohnt. Wahrscheinlich ist das englische Wort Cupboard. Das hat aber einen anderen Bildcharakter als das deutsche Wort Schrank. Es sind Bretter, auf die man was stellt.
Ich kenne kein deutsches Wort dafür, hätte wahrscheinlich selbst "Verschlag" gewählt. Es geht um den Raum unter einer treppe, die auf den dachboden oder in ein höheres Stockwerg führt. Eine schräge Wand, eine senkrechte Wand, breit wie die Stiege und in jedem Fall sehr eng. Zu eng für ein Kinderzimmer. Aber das soll es ja auch sagen.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Fabian:
Danke für die Einführung ins 2. Kapitel, Trippelschritt.


--- Zitat von: Trippelschritt am 15 August 2014, 08:29:46 ---Eingestreut werden Schnipsel aus der Vergangenheit. Harry findet sich auf dem Schuldach wieder, oder seine Haare wachsen innerhalb einer Nacht wieder nach. Für mich ist das weniger überzeugend, weil es Harry bereits zuviel Macht zukommenlässt und die zukünftigen Überraschungen abschwächt.
--- Ende Zitat ---
Die Funktion dieser Einsprengsel würde ich etwas anders werten: sie nehmen für den Leser nicht Spannung weg, indem sie HPs Fähigkeiten auf relativ beiläufig erzählte Weise andeuten (dafür sind sie zu banal, sie bestätigen nur die im 1. Kapitel bereits klar bezeichnete Zugehörigkeit HPs zu den Zauberern), sondern sie zeichnen HP als ein Kind aus, dass mit sich selbst noch nicht im Reinen ist, sich seiner selbst noch nicht bewusst ist, denn er beherrscht ja diese Fähigkeiten nicht, sondern sie überwältigen ihn (schützend) in besonders aufwühlenden oder bedrohlichen Lebenssituationen. Für mich ist das eine emotionale Reaktion wie Rotwerden.
Lediglich als er aktiv mit einer Schlange spricht, wirkt er an einem solchen zauberhaftes Ereignis bewusst mit, und da reagiert er auch für mich überraschend unaufgeregt und deshalb in meinen Augen etwas unglaubwürdig in Bezug auf das Selbstbild, das ansonsten von ihm im 2. Kapitel entworfen wird.


--- Zitat ---Im Zoo unterhält sich Harry mit einer Boa Constricta und ein Trennglas zum Terrarium verschwindet. In Vernons Augen ist Harry Schuld und es gibt die nächste Strafe.
--- Ende Zitat ---
Die Strafe gab es meiner Meinung nach vor allem dafür, das er mit der Boa Constrictor in aller Öffentlichkeit gesprochen hat (bzw. dabei beobachtet wurde). Das charakterisiert wiederum die Dursleys: sie widersprechen Piers (der das beobachtet zu haben glaubt) nicht, versuchen gar nicht erst, seine Beobachtung als Hirngespinst abzutun. Und verbannen den Stein des Anstoßes wutschnauben aber konsequenzlos resigniert in seinen Kabuff. Dieses Resignative hatte mich beim 1. Lesen etwas neugierig gemacht, denn offensichtlich halten auch die Dursleys in Bezug auf ihr Bild vom Wesen des HP noch mit etwas hinter dem Berge.


--- Zitat ---Was mich stört, ist, dass Harry in einem Schrank unter der Treppe wohnt. ... Eine schräge Wand, eine senkrechte Wand, breit wie die Stiege und in jedem Fall sehr eng. Zu eng für ein Kinderzimmer. Aber das soll es ja auch sagen.
--- Ende Zitat ---
Ich glaube, damit soll nicht einfach nur eine Mangelsituation angedeutet werden - das Zimmer ist nicht nur zu eng, die Dursley enthalten HP nicht nur etwas vor, sondern dieser Ort unter der Treppe ist in erster Linie ein Ort der Ausgrenzung, des Versteckens. Sie zeigen, dass er nicht zu ihnen gehört.

Fabian:
Noch was zum Kapitelende:

In einer 1 1/2-seitigen, Hp zugeschriebenen Erinnerungssequenz (klingt für mich aber wie vom auktorialen Erzähler verfasst - vielleicht ist ers ja auch) sammelt JKR noch einmal alles, was ihr wichtig ist, um dem Leser die Einsamkeit und die Ausgegrenzheit HPs zu demonstrieren, ebenso seine Sehnsucht nach Erlösung.

Das ist ein wenig wie Kasperletheater, denn die Leser wissen natürlich, dass all das, was HP noch gänzlich unverständlich ist (die eigenartigen Fremden z.B., die ihn unterwegs unversehens ansprechen), Zeichen dafür sind, dass er nicht in dieser emotionalen Einöde versauern muss, sondern dass auf ihn noch ein anderes Leben wartet.

Und mit dieser Lesererwartung, die mit fast schon etwas platt angewandten erzählerischen Mitteln aufgebaut wird, entlässt uns JKR dann ins 3. Kapitel.

Trippelschritt:
Dem habe ich nichts hinzuzufügen.  8)

Liebe Grüße
Trippelschritt

Mooncat:
Also ich finde das Kapitel extrem langweilig und würde wohl drei Viertel streichen. Wie trostlos und unfair sein Leben und wie unmöglich sich die Dursleys benehmen kann man an genug anderen Stellen sehen. Das einzig interessante ist seine Begegnung mit der Schlange. Schade, dass das Kapitel damit nicht aufhört. Die letzte Szene vor allem finde ich völlig überflüssig.

Zum Cupboard - in der Schweiz würden wir wohl Reduit sagen, so nennen wir jedenfalls solche Abstellkammern. Was das passendste Wort für die Übersetzung wäre. Oder von mir aus auch Wandschrank - tja, aber das Problem kann man sich ja zum Glück sparen, wenn man es einfach im Original liest.

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