28 March 2024, 20:41:48

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Theorie / Re: Alternative Erzählstrukturen
« Letzter Beitrag von diffusSchall am 18 June 2023, 11:37:06 »
Frank, du drehst mir die Worte im Munde um und das an so vielen Stellen. Was ist los?

Merin, ich spiele den Ball mal zurück:
Jmd das Wort im Munde zu verdrehen, bedingt Absicht. Du solltest mich eigentlich besser kennen, als dass das dein erster Schluss daraus ist.
Und so vielen Stellen sind genau zwei: zur Thematik „progressiv Schreiben“ und „konservative Literatur“.
Merin, warum so aggressiv? Was ist los?

So ganz klar sehe ich nicht, woher unser Problem rührt. Ich vermute schlicht Missverständnisse.
Ich bin auch Wildfee, dass ein größerer Teil der Irritationen vermutlich durch unterschiedlich definierte Begrifflichkeiten herrühren wird.

Zum Thema Progressivität ein paar Gedanken, die meine Sichtweise hoffentlich etwas besser beleuchten:
„Progressiv“ ist für mich keine Gattung, sondern ein Qualitätsmerkmal.
Ähnlich sehe ich den Begriff „Kunst“.
Ein kreatives Werk wird nicht automatisch Kunst, nur weil es kreativ ist. Da gehört eine entsprechend schwer wiegende Komponente dazu. Das kann ein inhaltlicher Unterbau sein, dass kann eine meisterhafte Ausführung sein, das kann Progressivität sein.
Ich finde, es riecht immer seltsam, wenn ein Schaffender selbst von seinem Werk behauptet, dass es Kunst sei. Das zu beurteilen bedingt Objektivität, dazu ist er in der Regel zu nah am eigenen Werk. Das beurteilen Kunstkritiker und die Allgemeinheit besser, in den allermeisten Fällen.
Genau so sehe ich Progressivität, im speziellen das progressive Schreiben:
Gesellschaftskritisch zu Schreiben macht einen Text noch nicht progressiv. Ob ein Text der aktuelle Thematiken aufgreift tatsächlich progressiv ist, dass können meiner Meinung nach Außenstehende besser beurteilen, als der Autor selbst, der nach meinem Empfinden auch hier nicht die ideale objektive Instanz zur Beurteilung ist.
Daher mein Standpunkt, dass ein Autor die Absicht bekunden kann progressiv zu schreiben. Mit der Aussage, dass er das tatsächlich tut, sollte er sich m.M. nach zurückhalten.

Mit diesem Hintergrund habe ich dich gefragt, was deine Zielsetzung ist: gesellschaftskritisch zu schreiben oder progressiv zu schreiben. Einfach um mehr darüber zu erfahren, wie du denkst, denn dass interessiert mich.
Das empfinde ich als legitim und hat nichts damit zu tun jemanden das Wort zu verdrehen.

Zum 2. Punkt:

Zitat
Du-u, Fra-ank ... das habe ich weder gemeint noch geschrieben. Ich schrieb, dass ich den Backlash schwer auszuhalten finde. Das ist schon ein sehr wesentlicher Unterschied.

Es geht um deinen Satz:

Dass es zwischendrin so einen Backlash gibt und so eine große Auswahl an konservativer und gar rechter SF, finde ich auch schwer auszuhalten.

Daraus lese ich drei Aussagen:
Es ist für dich schwer auszuhalten, dass es so einen Backlash gibt.
Es ist für dich schwer auszuhalten, dass es eine große Auswahl konservativer SF gibt.
Es ist für dich schwer auszuhalten, dass es eine große Auswahl rechter SF gibt.

Ich reibe mich an der zweiten Aussage.
Den Begriff des konservativen Schreibens sehe ich als Gegenpart zum progressiven Schreiben.
Darunter verstehe ich das Aufgreifen von klassischen SF-Themen wie Exploration, Eskapismus, Erstkontakte usw. usf. ohne den vordergründigen Anspruch, aktuelle Thematiken aufzugreifen und Zukunftslösungen anzubieten. Den bewerten Ansatz eines jeden Autors, der in erster Linie unterhalten will. Da sehe ich mich eher als Autor, als beim progressiven Schreiben. Das habe ich weiter oben auch schon ausgeführt und mich als in diesem Sinne konservativen Autor dargestellt.
Der Begriff konservativ wird hier nicht als Gesinnung oder ideologisch verwendet. Das wäre völlig irreführend. Auch hier: es sollte mich wundern, wenn du mich in dieser Ecke siehst. Nach all den tollen, menschlichen Diskussionen, die wir schon hinter uns haben.
Ich fürchte fast, gerade in Hinblick darauf, dass du in deinem Satz konservative SF neben Rechter SF stellst, dass du genau das tust: Konservativ nur aus ideologischer Sicht betrachtet.
Dann wäre mir klar, warum uns hier irritieren.

Bitte frage mich doch erstmal wertfrei, warum ich bestimmte Fragen stelle, wenn sie dir offensiv, fehlgeleitet oder sonst wie ungebührlich erscheinen. Ich habe den Eindruck, dass unsere Wertesystem in weiten Teilen sehr nah beieinander liegen.
Ich bin weder der Mensch, der anderen über den Mund fährt, noch versucht, ihnen die Worte im diesem zu verdrehen und auch niemand, der anderen seine Sicht aufzwingen muss.
Ich versuche zu verstehen und zu lernen, im Rahmen meiner Möglichkeiten und anderen meinen Standpunkt und meine Blick auf die Welt zu vermitteln.
Mehr nicht.

Liebe Grüße - Frank
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Theorie / Re: Alternative Erzählstrukturen
« Letzter Beitrag von merin am 17 June 2023, 16:30:07 »
Da kann ich vollkommen mitgehen. Sowohl bei der Idee, dass eine Definition hilfreich ist, als auch was die vorgeschlagenen Definitionen angeht. Für heißt Progressivität ein Infragestellen des Status Quo in Richtung Emanzipation aller Menschen und Gleichwürdigkeit.
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Theorie / Re: Alternative Erzählstrukturen
« Letzter Beitrag von Wildfee am 17 June 2023, 15:06:18 »
Ich denke/vermute, dass es hilfreich für die Diskussion ist, die Definitionen bestimmter Begriffe festzulegen ;-)

Wie definiert sich klassische Phantastik? Oder Retro-SF?
Ist klassische Phantastik auch progressiv? Wenn ja, warum?

Ich persönlich bezeichne Phantastik nicht per se als klassisch oder retro, weil ich meine, dass Phantastik, insbesondere SF, schon immer über den temporären Status Quo hinweg ging. Ja, die Storys waren natürlich beeinflusst von den jeweiligen Gesellschaftsströmungen und Erzählweisen, gar keine Frage. Aber es gab auch die Ausreisser, die herausragten, aneckten, nicht konform waren. Für mein Verständnis spricht nichts dagegen, diese Storys als progressiv zu bezeichnen, auch wenn sie schon mehrere Jahrzehnte alt sind.

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Theorie / Re: Alternative Erzählstrukturen
« Letzter Beitrag von merin am 17 June 2023, 14:33:02 »
Frank, du drehst mir die Worte im Munde um und das an so vielen Stellen. Was ist los?

Zitat
Ist das so? Ist dein zentraler Gedanke progessive Texte zu schreiben? Oder ist dein zentraler Gedanke gesellschaftskritisch zu schrieben? Was ist die Folge von wem?
Wenn dir jemand sagt, deine Themen und deine Art zu Schreiben ist nicht progressiv, aber gesellschaftskritisch. Fühlt sich das besser für dich an, als wenn es umgekehrt wäre?

Ich habe doch nirgendwo behauptet, dass das mein zentraler Gedanke sei. Oder mein zentrales Anliegen (ich nehme an, das war es, was du meinst?). Ansonsten würde ich sagen: Gesellschaftskritik funktioniert in progressive und in traditionalistische oder gar reaktionäre Richtung. Neonazis sind auch gesellschaftskritisch. Aber das ist gar nicht die Richtung, die mir vorschwebt. Insofern: ja bitte, gesellschaftskritisch und progressiv. Natürlich gibt es aber Leute, die meine Texte ganz anders lesen und das ist natürlich auch legitim.

Deine Gedanken zu Erzählen und Träumen leuchten mir ein: an beidem ist das Unbewusste beteiligt. Allerdings habe ich es so verstanden, dass wir hier über Erzählstrukturen sprechen. Und rein strukturell finde ich beide Arten des Erzählens doch sehr verschieden. Oder ich stehe einfach nur auf dem Schlauch und sehe die Ähnlichkeiten nicht. Oder wir haben aneinander vorbeigeredet, weil du den Inhalt meintest und ich die Struktur. Wobei: Wenn es um die Hypothese geht, dass die Struktur unserer Texte zu einem großen Teil ebenso unbewusst entsteht, wie die Struktur von Träumen, dann kann ich da sogar mitgehen. Interessanter Gedanke ... nur in der Überarbeitung wird im besten Falle dann einiges bewusst. Oder nicht? Die interessante Frage ist, inwiefern wir überhaupt Verfügungsgewalt über die Struktur unserer Texte haben.

Zitat
Du findest konservative SF schwer auszuhalten?

Du-u, Fra-ank ... das habe ich weder gemeint noch geschrieben. Ich schrieb, dass ich den Backlash schwer auszuhalten finde. Das ist schon ein sehr wesentlicher Unterschied.

Ansonsten müssten wir mal schauen, was für Retro-SF du meinst. Ursula K Le Guin? James Tiptree Jr? Douglas Adams? Stanislaw Lem? Alles alt und alles von mir sehr geschätzt, zumindest zum Teil. Aber retro meint eigentlich, dass es jetzt geschrieben wurde, sich aber beim Damals bedient. Und da verstehe ich gar nicht, auf wen du dich beziehst. Und was das mit der Erzählstruktur zu tun hat.  :dontknow: Magst du mich aufklären?
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Theorie / Re: Alternative Erzählstrukturen
« Letzter Beitrag von diffusSchall am 17 June 2023, 13:11:58 »
Du findest konservative SF schwer auszuhalten? Wow. Da wundert mich die ablehnende Haltung doch sehr. Dabei ist althergebrachte, traditionelle und nur unterhaltende SF so leicht zu ignorieren, wie ich finde. Doch zumindest zu tolerieren.
Ich halte daran gerne fest, weil ich das Klassische, dass heute oft schon als Retro-SF bezeichnet wird, liebgewonnen habe. Ich bin damit gross geworden.
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Theorie / Re: Alternative Erzählstrukturen
« Letzter Beitrag von diffusSchall am 17 June 2023, 13:04:57 »
Genau darum gehe ich soweit zu behaupten, dass das doch auf jeden Fall eine Frage für Autor*innen ist - zumindest wenn sie progressiv sein wollen.

Ist das so? Ist dein zentraler Gedanke progessive Texte zu schreiben? Oder ist dein zentraler Gedanke gesellschaftskritisch zu schrieben? Was ist die Folge von wem?
Wenn dir jemand sagt, deine Themen und deine Art zu Schreiben ist nicht progressiv, aber gesellschaftskritisch. Fühlt sich das besser für dich an, als wenn es umgekehrt wäre?

Erzählen und Träume:
Wir erzählen ja Geschichten aus unserer Vorstellung heraus. Und viele unserer Bilder und Motive haben ihre Wurzeln im Unbewussten. Wie oft fragen wir uns als Autoren, wo das alles herkommt, was wir da zu Papier bringen? Zumindest mir geht es oft so, dass ich mich da selbst überrasche.
Das Unterbewusstsein ist ein ganz großer Teil unserers inneren Erzählers. Und wenn wir Träumen macht genau dieses Unterbewusstsein Überstunden. Ich sehe da eine klar, direkte Verbindung.

Cheers - Frank
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Theorie / Re: Alternative Erzählstrukturen
« Letzter Beitrag von merin am 17 June 2023, 12:28:35 »
Ich sehe mich ja auch als Teil der progressive-SF-Szene und für mich ist das ein ganz wichtiges Ding. Einfach weil ich gesellschaftskritisch sein will. Ich möchte nicht in meinen Texten gängige -ismen reproduzieren und damit mir das nicht passiert, muss ich reflektieren. Genau darum gehe ich soweit zu behaupten, dass das doch auf jeden Fall eine Frage für Autor*innen ist - zumindest wenn sie progressiv sein wollen. Wenn ihnen das egal ist, dann ist das natürlich eine legitime Haltung, aber ich glaube eher nicht, dass man versehentlich progressiv sein kann.  ;)

Allerdings glaube ich auch nicht, dass die Art des Erzählens dafür so zentral ist. Ich halte die Inhalte für mindestens ebenso wichtig wie die Form und wenn sowohl Form als auch Inhalt vom Gewohnten zu sehr abweichen, fürchte ich, dass der Text sperrig wird. Aber das ist vielleicht auch eine Geschmackssache.

Erstaunt bin ich über euren Austausch zur Frage des Erzählens und des Träumens. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass wir träumen, wie wir erzählen oder erzählen, wie wir träumen. Einfach weil das für mich ganz unterschiedliche Arten des Erzählens sind. Ich würde sogar soweit gehen zu sagen, dass traumhaftes Erzählen nur in ganz wenigen Ausnahmen funktioniert, einfach weil Traumlogiken so fremd, so verworren, so unzugänglich sind. Erlebt ihr das anders? Wo seht ihr die Gemeinsamkeiten zwischen Traum und Erzählung?

Im Urlaub haben wir ein Buch mit SF-DDR-Geschichten von 1981 aus dem Bücherschrank eines Campingplatzes gezogen. Ich habe die erste Geschichte bereits gelesen und es stimmt: Sie ist progressiv und sowohl von vielschichtig. Ich bin ehrlich begeistert! Dass es zwischendrin so einen Backlash gibt und so eine große Auswahl an konservativer und gar rechter SF, finde ich auch schwer auszuhalten.
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Die Werke der Federteufel / Re: Veröffentlichungen in Printform
« Letzter Beitrag von merin am 17 June 2023, 10:30:51 »
Wow, cool, so viel! Vielen Dank!
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Theorie / Re: Alternative Erzählstrukturen
« Letzter Beitrag von diffusSchall am 16 June 2023, 12:44:45 »
Hi Wildfee,

ah, ich sehe gerade, dass der von dir benannte TOR-Artikel der von Judith Vogt ist.
Gerade dieser ist wirklich gut, denn er weist ausdrücklich darauf hin, dass sich das "Progressive" eben nicht auf Voke-Themen beschränkt, was dein Zitat impliziert:

Zitat
Zur Progressivität gehören dem Artikel nach demnach aktuell auch Themen wie z.B. Feminismus, Gendern, Diversität.

Leider sehe ich immer wieder, dass der Begriff "Progressive Phantastik" genau auf diese Thematiken reduziert wird und das ist in meinen Augen ein großer Fehler.
Ich stelle daher deinem Zitat einmal zwei weitere aus dem gleichen Artikel zur Seite, um deutlich zu machen, was ich meine:

Zitat
Das Progressive beschränkt sich aber nicht nur auf die Inhalte, sondern bezieht sich in Anlehnung an Progressive Rock und Progressive Metal in der Musik auch auf die Form. Statt unreflektierten Gewohnheiten oder präskriptiven Ratgebern zu folgen, sucht die Progressive Phantastik nach Formen, die den jeweiligen Stoff am besten zur Geltung bringen.

Zitat
... nehmt gewohnte Elemente und verwendet, was ihr brauchen könnt. Brecht die Klischees, fügt Neues hinzu, aktualisiert überkommene Motive – oder findet welche, die euch aktuell oder ewig vorkommen. Nehmt aber auch Neues aus der Gegenwart, bildet sie ab. Progressivität fährt auf den beiden Gleisen von Altem und Neuem und lebt von ungeahnten Kombinationen. Unsere Ängste und Hoffnungen, unsere Träume, Ziele und Ideale können sich zu den alten Motiven dazugesellen und eine neue Form von Tradition bilden, die mit Sicherheit irgendwann auch wieder in Frage gestellt werden kann – und muss!

Progressiv immer generell und nicht spezifisch.

Ich frage mich aber auch, wer entscheidet, was progressiv ist?
Nach meinem Dafürhalten ist der Autor der Letzte, der das entscheidet, weil er am wenigsten objektiv ist. Er kann allenfalls die Absicht verfolgen. Ob er wirklich innovativ und progressiv ist, dass ist wohl eher eine Frage der allgemeinen Wahrnehmung. Wie eingangs schon von mir formuliert: eine Frage für Kritiker und Konsumenten/Leser.


Beste Grüße - Frank
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Theorie / Re: Alternative Erzählstrukturen
« Letzter Beitrag von Wildfee am 16 June 2023, 11:51:35 »
 :)

Es ist nicht nur eine Absichtserklärung, progressiv zu schreiben, sondern ich habe es automatisch gemacht ;-)

Ich finde es sehr spannend, wie "progressiv" aktuell definiert wird. Ich zitiere mal von Tor Online: "Progressive Phantastik beruht demnach auf einer Haltung, die Traditionen auf allen Ebenen hinterfragt, die obsoleten oder unpassenden fallen lässt, um dann mit den übrigen weiterzuarbeiten. "
Zur Progressivität gehören dem Artikel nach demnach aktuell auch Themen wie z.B. Feminismus, Gendern, Diversität.

Ich finde das auf einer gewissen Ebene amüsant, weil ich in den 80ern und 90ern recht viel Science Fiction und Fantasy gelesen habe, die nach heutigen Stand als progressiv gelten müsste. Ich denke da an Marion Zimmer Bradley, bei der es Männer gab, die Kinder geboren haben (in einer KG von ihr) oder an die ganze Bandbreite der feministischen SF (Suzette Hagen Elgin z.B. mit "Native Tongue" oder "Amerika der Männer")

Ich finde es traurig, dass es dann einen Abschwung gab und man derzeit an einem Punkt angelangt ist, bei dem schon sicher geglaubte Errungenschaften wieder erkämpft werden müssen und es soviel an Widerstand gibt.

Ich sehe progressive Phantastik als Chance zur Vielfalt, ohne Wertung ob irgendeine Richtung/Strömung der Phantastik besser oder schlechter ist :-)

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