Aber meist brauche ich die schlicht nicht, weil es sich organisch ergibt, wie sich meine Figuren treffen.
Ja, ich verlasse mich da bisher auch auf meine Intuition und bilde mir ein, ein gutes Popometer zu haben, was in einem Dialog Sinn macht und frisch ist, und was repetitiv ist. Mir da grundsätzlich im voraus eine Gesprächsstrategie für jede Figur zu überlegen, würde mir den Schreibprozess zerschießen. Ich schaue dann bei der Überarbeitung, mit etwas Abstand, ob mein Bauchgefühl zu dem Dialog stimmt, ob er mich mitnimmt. Danach wird erst optimiert, nach den
Stimmen der Figuren geschaut usw.
Zum Thema Interaktion von Figuren hier einmal ein Textauszug von Orson Scott Card aus seinem Vorwort aus "Sprecher für die Toten":
Die meisten Romane kommen damit aus, die Beziehungen zwischen zwei oder höchstens drei Figuren zu zeigen. Das liegt daran, dass die Schwierigkeit, einen Charakter zu erstellen, mit jedem neuen Hauptcharakter steigt, der der Geschichte hinzugefügt wird. Charaktere, so verstehen die meisten Autoren, werden wirklich durch ihre Beziehungen zu anderen entwickelt. Wenn es nur zwei signifikante Charaktere gibt, dann gibt es nur eine Beziehung, die erforscht werden kann. Wenn es jedoch drei Zeichen gibt, gibt es vier Beziehungen: Zwischen A und B, zwischen B und C, zwischen C und A und schließlich die Beziehung, wenn alle drei zusammen sind.
Selbst das erklärt nicht ansatzweise die Komplexität – denn zumindest im wirklichen Leben verändern sich die meisten Menschen, zumindest subtil, wenn sie mit verschiedenen Menschen zusammen sind.
[...]
Ich habe das immer wieder bei meinen Freunden, bei anderen Familienmitgliedern gesehen. Unser ganzes Verhalten ändert sich, unsere Eigenheiten, unsere Redewendungen, wenn wir von einem Kontext in einen anderen wechseln. Hören Sie jemandem zu, den Sie kennen, wenn er den Hörer abnimmt. Wir haben spezielle Stimmen für verschiedene Menschen; Unsere Einstellungen, unsere Stimmungen ändern sich, je nachdem, mit wem wir zusammen sind.
Wenn also ein Geschichtenerzähler drei Figuren erschaffen muss, erfordert jede unterschiedliche Beziehung, dass jede Figur darin transformiert werden muss, wenn auch subtil, je nachdem, wie die Beziehung seine oder ihre gegenwärtige Identität formt. In einer Geschichte mit drei Charakteren muss sich ein Geschichtenerzähler, der uns von der Realität dieser Charaktere überzeugen will, wirklich ein Dutzend verschiedene Rollen einfallen lassen, vier für jede von ihnen.
Card hat mit seiner Beobachtung völlig recht. Ich frage mich, ob ich bei der Figurenformung den Character Sheet um die Eigenschaft "Art der Gesprächsführung" erweitern sollte oder sowas wie eine
Gesprächsmatrix mit allen Figuren zu erstellen, um da eine valide Referenz zu schaffen. Denn wenn man ein komplexeres Gemisch an Figuren in engerer Interaktion vorsieht, wird man um eine entsprechende Schärfung der Figuren wohl kaum herum kommen.
Noch ein anderer Gedanke: Ich habe vor Jahrzehnten ein Buch über
Transaktionsanalyse gelesen. Dir wird das wahrscheinlich was sagen, merin. Das war, wenn ich mich recht entsinne, in den 70er / 80er Jahren ein populäres Modell in der Psychotherapie/-analyse, ist aber wegen ihrer Simplifizierung aus der Mode gekommen.
Ich kann mir aber sehr gut vorstellen, dass man diese als Schriftsteller zur Planung eines Dialoges durchaus heranziehen kann, wenn man mit der Intuition nicht weiter kommt.
LieGrü - diffusSchall