28 April 2024, 01:13:48

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Theorie / Re: Alternative Erzählstrukturen
« Letzter Beitrag von diffusSchall am 18 June 2023, 19:57:22 »
Was hat denn die Luzidität mit der Möglichkeit der Analyse der Träume zu tun?

Wenn ich Träume erinnere, sie also analysieren kann, dann sind das Motive und Themen, manchmal eine Art Handlungsstrang. Aber doch nie die Erzählstruktur. So weit geht die Erinnerung ja nicht. Sie ist ja selten griffig und konkret, und wenn, dann in Details.
Einen Traum, dessen Erzählstruktur ich aber memorieren kann, müsste ich doch bewusst als solchen wahrnehmen, demnach luzide Träumen.

Zitat
Insofern fände ich das spannend, wie du es geschafft hast, einen Text in der Struktur des Haarteppichknöpfers (den ich nicht kenne) zu schreiben. Und warum du genau diese Struktur für das, worum es dir ging, gewählt hast.

Andreas Eschbach gibt auf seiner Webseite unumwunden zu, dass er die Struktur für sein Debüt aus der Not gewählt hat. Er wusste schlicht nicht, wie eine klassische Erzählstruktur aussieht. Also hat er Kurzgeschichten verfasst, die einen thematischen Zusammenhang haben und es geschafft, das als Roman zu verkaufen.
Ich hatte mit Sharlain meine erste Novelle geschrieben. Für einen Roman zu wenig. Für eine Anthologie zu lang. Was sollte ich tun? Die Novelle zum Roman erweitern? Das hatte sich nicht richtig angefühlt. Da habe ich mich an Eschbach und seinen Kunstgriff erinnert und darin für mich eine Möglichkeit gesehen.
Hat ja auch geklappt, irgendwie.  😉
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Theorie / Re: Alternative Erzählstrukturen
« Letzter Beitrag von merin am 18 June 2023, 19:13:41 »
Mein Gefühl ist, wir reden immer noch aneinander vorbei.

Zitat
Ich verstehe das Manifest nicht als Umriss eines neuen Subgenres. Dazu ist die Definition der Progressivität in dem Artikel viel zu umfassend formuliert. Es betrifft das gesamte Genre der SF und grenzt nicht einen eigenen Teil ab. Ich verstehe den Artikel als ein Plädoyer dafür einen allgemeinen, in allen Belangen (dies wird betont!) progressiven Schreibstil auch und gerade in der SF anzustreben.

Ich auch. :biggrin: Nur: So lange, wie dieser Aufruf nicht befolgt wird, bildet sich eine Subgruppe von Autor*innen heraus, die versuchen, ihn zu befolgen. Und dann entsteht ein Subgenre. Das das natürlich schwierig ist, da stimme ich dir zu, allerdings halte ich es für illusorisch, dass Progressivität das gesamte Genre SF durchdringt.
Und: Allerdings verstehe ich dann tatsächlich nicht, wie du meine Aussage verstehst. :gruebel:

Dich einsortieren? Ich weigere mich! :cheer:

Zitat
Wenn du es so gegenüberstellst, dann muss ich meine Sicht in ihrer obigen Formulierung revidieren. Dann sehe ich konservatives Schreiben nicht als direkten Gegenpart zum progressiven Schreiben. Weil dem konservativen Schreiben der Gedanke zur Veränderung fehlt. Ich möchte betonen: im Guten, wie im Schlechten.

Hmm. Konservativ heißt doch erstmal, dass man den Status Quo beibehalten möchte. Man möchte eben alles so lassen, wie es ist. Das hieße also für SF: Ich mache mir über die Zukunft Gedanken, aber so, dass es keine kritische Sichtweise auf die Jetztzeit impliziert. Sind wir uns da einig? Wenn ja, verstehe ich tatsächlich nicht, wie du dich darin wiederfindest.

Zitat
Mögliche Darstellung von Diskriminierung, ohne zwingende zentrale Auflösung der Situation in eine bestimmte Richtung.
Keine zentrale Thematisierung von Diskriminierung.
Gemäßigter, nicht totalitärer Umgang mit Diskriminierung.
Keine zentrale Wertung der Diskrimierung. (Ich beziehe dies auf den Tenor der Erzählung. Im Rahmen einzelner Charakterschilderungen kann extremer Umgang mit, für und wider Diskrimierung durchaus stattfinden. Dann muss aber klar sein, dass dies im Rahmen der Charakterdarstellung stattfindet und nicht das Motiv des Textes und die gemeine Aussage des Autors darstellt.)

Damit kann ich tatsächlich wenig anfangen. Einfach weil das meinem Erleben so sehr widerspricht, dass ich nicht recht nachvollziehen kann, wie du darauf kommst. Möglicherweise hängt das damit zusammen:

Zitat
Definiere bitte meine privilegierte Position.
Da verstehe ich nicht, was damit konkret gemeint ist. Daher kann ich dazu auch nicht Stellung beziehen.

Ich weiß wenig über dich. Auf deiner Webseite verrätst du nicht viel, auch dein Buch verrät nicht so viel und die Fotos, die ich im Netz von dir finde, scheinen alt und möglicherweise hast du Namensvettern. Aber mir scheint, du bist weiß, cis-männlich, heterosexuell, nicht behindert und in Deutschland geboren. Somit gehörst du also zu den Menschen auf dieser Welt, die am wenigsten von Diskriminierung betroffen sind. Ehrlich gesagt fiele es mir schwer, die Stelle zu benennen, an der du nicht privilegiert, sondern von Diskriminierung betroffen bist. Aber da ich dich nicht gut kenne, ist es leichter, die Frage für mich zu beantworten: Ich profitiere von Privilegien des Geburtsortes und Nationalität, des Standes/der Klasse (Mittelschicht), der Hautfarbe (weiß), der Gesundheit (nur eine chronische Krankheit, die mich an vielen Stellen nicht einschränkt), bin weitgehend neurotypisch und cis-passing. Von Diskriminierung betroffen bin ich aufgrund meiner sexuellen Identität und Orientierung, aufgrund der Zuschreibung, eine Frau zu sein, aufgrund meines Ostdeutschseins (was global gesehen lächerlich ist) und als Elternteil eines Kindes mit Behinderung.

Zitat
Schreiben bedeutet Konflikte zu bearbeiten. Geschichten spielen immer in irgendeiner Form von Gefüge. Es wird immer eine starke und eine schwache Position geben, immer ein Gefälle in irgendeiner Form. Diskriminierung ist mit diesem Hintergrund unausweichlich.

Ich sehe Gefälle und starke und schwache Positionen nicht als Notwendigkeit. Aber Konflikt schon. Allerdings finde ich es befremdlich, Diskriminierungen daraus abzuleiten. Denn dass Diskriminierungen sich in meine Texte einschleichen, hat doch eher damit zu tun, dass ich in einer Gesellschaft sozialisiert wurde, die von systematischen Diskriminierungen durchzogen ist. Ich stimme dir daher in deiner Ableitung zu: Es geht nicht die Frage, ob Diskriminierungen in meinen Texten vorkommen, sondern in welcher Form. Habe ich meine eigenen Privilegien reflektiert? Oder schreibe ich konservativ, das heißt, das fort, was ich erlebe oder wovon ich qua Privileg verschont bleibe? Genau das ist meines Erachtens der Kernpunkt progressiver Fantastik: Die Forderung nach der Reflexionsarbeit bezogen auf die eigenen Privilegien. Darum wundert es mich so, dass es oben scheint, als wüsstest du nicht, was ich damit meine. Oder reden wir da wieder aneinander vorbei?
Dein Beispiel für deine autistische Protagonistin beschreibt ja genau das: Du hast dir ein Sensitivity Reading gesucht, um keine Stereotype zu reproduzieren. Warum du das nicht als progressiv siehst, leuchtet mir nicht recht ein.
Wenn du anfängst, darüber nachzudenken, wer in deinen Texten vorkommt und wer nicht, dann beginnt dieser Prozess der Reflexion. Ich glaube ja, dass es nicht möglich ist, unpolitische Texte zu schreiben. Wenn wir also für uns entscheiden, nicht zu reflektieren, dann werden wir Diskriminierungen und -ismen reproduzieren. Und damit positionieren wir uns gegen die, die wir diskriminieren.

Zitat
Inwiefern bist du dir denn überhaupt über die Erzählstruktur deiner Träume bewusst?
Ich könnte dazu keine valide Aussage machen. Ich bin kein Mensch der ausgeprägt luzide träumt. Insofern bin ich mir auch nicht der Struktur meiner Träume im Klaren.

Was hat denn die Luzidität mit der Möglichkeit der Analyse der Träume zu tun? Die allermeisten Menschen träumen und vergessen es. Keine Möglichkeit der Analyse. Dann gibt es Träume, die werden erinnert. Und die kann man dann analysieren. Die Analyse geschieht doch nicht während des Träumens (und bei mir auch nicht während des Schreibens), sondern danach. Anders als beim Träumen gäbe es beim Schreiben noch die Möglichkeit, die Struktur zu planen. Ich gebe zu: Ich kann das gar nicht. Ich kann ganz grob planen, wo mein Text hingeht, aber die Struktur ergibt sich im Schreiben. Insofern fände ich das spannend, wie du es geschafft hast, einen Text in der Struktur des Haarteppichknöpfers (den ich nicht kenne) zu schreiben. Und warum du genau diese Struktur für das, worum es dir ging, gewählt hast.
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Theorie / Re: Alternative Erzählstrukturen
« Letzter Beitrag von diffusSchall am 18 June 2023, 15:26:30 »
Zitat
Und um den Bogen mal wieder zurück zum Thema Erzählstrukturen zu schlagen: Du hast ja in deinen "Frauen von Berberath" klassische Erzählstrukturen gemieden. Genau darum ist das für mich auch keine konservative SF: Du hast keine klassische Heldenreise, keine 3-Akt-Struktur, keine einsamen Held*innen, die sich durchschlagen.

Wo würdest du das denn einsortieren?
Ich habe mich konkret an einem Jungklassiker (VÖ 2005) der deutschen SF orientiert:
Andreas Eschbachs "Die Haarteppichknüpfer".
Eschbach ist jetzt nicht gerade dafür bekannt, progressiv zu schreiben.   ;)

Deine Gedanken zu Erzählen und Träumen leuchten mir ein: an beidem ist das Unbewusste beteiligt. Allerdings habe ich es so verstanden, dass wir hier über Erzählstrukturen sprechen. Und rein strukturell finde ich beide Arten des Erzählens doch sehr verschieden.

Eine sehr konkrete Aussage.
Inwiefern bist du dir denn überhaupt über die Erzählstruktur deiner Träume bewusst?
Ich könnte dazu keine valide Aussage machen. Ich bin kein Mensch der ausgeprägt luzide träumt. Insofern bin ich mir auch nicht der Struktur meiner Träume im Klaren.

Cheers - Frank
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Theorie / Re: Alternative Erzählstrukturen
« Letzter Beitrag von diffusSchall am 18 June 2023, 15:15:03 »
Achso. Ich dachte, da wir uns hier auf das Manifest zu progressiver Phantastik beziehen, dass es um das Subgenre geht.

Ich verstehe das Manifest nicht als Umriss eines neuen Subgenres. Dazu ist die Definition der Progressivität in dem Artikel viel zu umfassend formuliert. Es betrifft das gesamte Genre der SF und grenzt nicht einen eigenen Teil ab. Ich verstehe den Artikel als ein Plädoyer dafür einen allgemeinen, in allen Belangen (dies wird betont!) progressiven Schreibstil auch und gerade in der SF anzustreben.
Dass "Progressive SF" als Subgenre behandelt wird, halte ich für einen Fehler. Genau deshalb empfinde ich den Begriff, wie oben schon erwähnt, für ein Subgenre sehr unglücklich gewählt. Es würde auch niemand auf die Idee kommen "kreatives Schreiben" als Genrebegriff zu etablieren (hoffentlich).

Ein Beispiel aus der Musik. Dort gibt es das Genre "Elektronische Musik". Viele moderne Musiker fühlen sich berufen, sich diesem Genre alleine durch die Namensgebung zuzuordnen. Dabei bezeichnet dieses Genre eine Bewegung der Musique Concrete, deren Hochzeit in den fünfziger Jahren war. Einer ihrer wichtigsten Vertreter war Karl-Heinz Stockhausen.
Das sorgt regelmäßig für Verwirrung und auch Streit unter den Vertretern der einzelnen Fraktionen und es wird jede Menge Energie sinnlos verbrannt. Aber hier ist der Begriff nun einmal historisch bedingt. Er war weit für der modernen elektronischen Musik schon etabliert.

Bei der Progressiven SF ist das anders. Das Subgenre (ich lasse mich der Einfachheit halber an dieser Stelle einmal darauf ein) ist neu, entwickelt sich noch. Ein neuer Begriff wird jetzt, in diesem Augenblick geprägt. Und ich sehe, dass hier ein alter Fehler erneut gemacht wird. Und wieder wird das zu endlosen Debatten und Irritationen führen. Das ist sehr bedauerlich.

Zitat
Zitat
Mit diesem Hintergrund habe ich dich gefragt, was deine Zielsetzung ist
Ich dachte, darauf hätte ich geantwortet: Beides ist für mich nicht trennbar.

So klar war das tatsächlich bei mir nicht angekommen.
Mit dem Hintergrund, dass du Progressive SF als Genre auffasst, funktioniert das natürlich.
Mit der generalisierten Auffassung des Begriffes Progressiv nicht. Da liegt wohl unser Missverständnis.

Zitat
Zitat
Den Begriff des konservativen Schreibens sehe ich als Gegenpart zum progressiven Schreiben.
Ich auch. Nur: Wenn progressiv bedeutet, sich aktuellen -ismen klar entgegen zu stellen, dann hieße der Gegenpart, sie zu befüttern. Und das finde ich das schwierig. Da würde ich dich als Autor auch nicht einsortieren.

Wo würdest du mich denn einsortieren? Das würde mich wirklich interessieren.

Wenn du es so gegenüberstellst, dann muss ich meine Sicht in ihrer obigen Formulierung revidieren. Dann sehe ich konservatives Schreiben nicht als direkten Gegenpart zum progressiven Schreiben. Weil dem konservativen Schreiben der Gedanke zur Veränderung fehlt. Ich möchte betonen: im Guten, wie im Schlechten. Wenn es um die Frage des Aktivismus geht, dann ist die rechte SF wohl eher der Gegenpart zum progressiven Schreiben, nach dieser Definition.

Zitat
Die spannende Frage ist: Was heißt das für dich in Bezug auf vorhandene Diskriminierungen und deine eigene privilegierte Position?

Ich versuche einmal den Umgang mit Diskriminierungen im Rahmen eines konservativen Literaturumgangs aus meiner Sicht darzustellen. Das ist schwierig, weil eine reine Bauchgeschichte und ich erhebe nicht den Anspruch an dieser Stelle umfassend und erschöpfend antworten zu können:
Mögliche Darstellung von Diskriminierung, ohne zwingende zentrale Auflösung der Situation in eine bestimmte Richtung.
Keine zentrale Thematisierung von Diskriminierung.
Gemäßigter, nicht totalitärer Umgang mit Diskriminierung.
Keine zentrale Wertung der Diskrimierung. (Ich beziehe dies auf den Tenor der Erzählung. Im Rahmen einzelner Charakterschilderungen kann extremer Umgang mit, für und wider Diskrimierung durchaus stattfinden. Dann muss aber klar sein, dass dies im Rahmen der Charakterdarstellung stattfindet und nicht das Motiv des Textes und die gemeine Aussage des Autors darstellt.)

Definiere bitte meine privilegierte Position.
Da verstehe ich nicht, was damit konkret gemeint ist. Daher kann ich dazu auch nicht Stellung beziehen.

Zitat
"Finde ich es okay, Diskriminierungen dem unterzuordnen oder versuche ich mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln, sie zu vermeiden? Da würde mich interessieren, wie du das für dich siehst."

Schreiben bedeutet Konflikte zu bearbeiten. Geschichten spielen immer in irgendeiner Form von Gefüge. Es wird immer eine starke und eine schwache Position geben, immer ein Gefälle in irgendeiner Form. Diskriminierung ist mit diesem Hintergrund unausweichlich. Es sei denn, ich beschreibe eine perfekte Gesellschaft, aber das dürfte keine spannende Geschichte geben.
Schilderung von Diskriminierung ist eine Notwendigkeit keine Unterordnung. Wenn ich keine Diskriminierung beschreiben darf, dann möchte ich nicht mehr schreiben. Dann kann ich keine dynamischen, lebensechten Charaktere entwickeln und beschreiben.
Die Frage ist nicht ob, sondern in welcher Form.
Ich finde es nicht nur okay, sondern auch wichtig, Diskriminierung zu beschreiben. Sie ist Teil unserer Gesellschaft. Sie wird Teil einer zukünftigen Gesellschaft sein.

Wie ich schon sagte, schreibe ich in erster Linie zur Unterhaltung, nicht um Themen ins Licht zu bringen, die ich diskutiert sehen möchte. Ich bin kein betont (gesellschafts)-politischer Mensch, gehöre da gefühlt zum Mainstream. Trotzdem greife ich auch kontroverse und/oder schwierige Themen auf, wenn sie mich persönlich interessieren und nutze diese für meine Geschichten.
Weil ich der Meinung bin, dass sie zu uns Menschen gehören.
Aber natürlich auch, weil sie Spannung und Würze versprechen, das möchte ich gar nicht von der Hand weisen.
Auch hier: die Frage ist nicht ob, sondern in welcher Form.

Ein konkretes Beispiel:
Ich habe in meinem aktuellen Romanprojekt einen verhaltensauffälligen Charakter, geformt nach dem Asperger-Autismus-Spektrum. Ich halte es für völlig okay, dies im Rahmen eines Unterhaltungsromans zu tun und auch Diskriminierung in diesem Rahmen zu zeigen. Menschen, die zu diesem Spektrum gehören, sind Teil unserer Welt. Für mich stellt sich gar nicht die Frage, ob ich das darf. Ich habe aber die Pflicht mir darüber klar zu werden in welcher Form ich das tue.
Für mich hieß das im ersten Schritt mir überhaupt klar zu werden, ob ich der Darstellung eines solchen Charakters nach meinem Wertesystem gerecht werden kann. Ich bin Schreibanfänger, das birgt die Gefahr der Fahrlässigkeit. Ich habe aber auch Erfahrung im Umgang mit Autismus sammeln dürfen, habe vor Jahren einen Autisten für eine kurze Zeit mitbetreut. Es ist ein Stück weit also auch durchaus eines meiner Themen.
Ich habe es als meine Pflicht gesehen, mich zu informieren, zu recherchieren. Ich habe Fachliteratur gelesen.
Ich habe mich bemüht und eine Testleserin gefunden, die selbst Autistin ist.

Ich weiß nicht, ob das ausreichend ist. Ich habe für mich selbst diesen Punkt fest machen müssen. Aber ich stehe zu meiner Vorgehensweise, ich stehe zum Ergebnis und ich stehe dazu, dass ich das tue. Im Rahmen von Unterhaltung! Und, ja, ich bin absolut der Meinung, dass das erlaubt sein sollte. Letzten Endes kommt es aber auf die Form an. Ob ich gut mit dem Charakter umgehe, werde ich dann hoffentlich noch in der Breite erfahren.

Liebe Grüße - Frank
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Theorie / Re: Alternative Erzählstrukturen
« Letzter Beitrag von merin am 18 June 2023, 12:49:00 »
Lieber Frank,

danke für die Erklärungen. Dazu kann ich nur erklären, dass meine Fragen wertfrei gemeint waren, ich habe versucht, durch Humor den Ton, den ich als angespannt wahrnahm, etwas aufzulockern. Offenbar ist das nicht gelungen und es kam als Angriff rüber. Das tut mir leid, so war es nicht gemeint.

Zitat
„Progressiv“ ist für mich keine Gattung, sondern ein Qualitätsmerkmal.

Achso. Ich dachte, da wir uns hier auf das Manifest zu progressiver Phantastik beziehen, dass es um das Subgenre geht. Da kann es natürlich auch schwierig sein, den eigenen Text einzuordnen, eben, weil der Abstand fehlt. Wenn es dir um das Qualitätsmerkmal geht, dann gebe ich dir recht: Das kann ich mir selbst nicht verleihen.

Zitat
Mit diesem Hintergrund habe ich dich gefragt, was deine Zielsetzung ist: gesellschaftskritisch zu schreiben oder progressiv zu schreiben. Einfach um mehr darüber zu erfahren, wie du denkst, denn dass interessiert mich.
Das empfinde ich als legitim und hat nichts damit zu tun jemanden das Wort zu verdrehen.

Ich dachte, darauf hätte ich geantwortet: Beides ist für mich nicht trennbar.

Zitat
Daraus lese ich drei Aussagen:
Es ist für dich schwer auszuhalten, dass es so einen Backlash gibt.
Es ist für dich schwer auszuhalten, dass es eine große Auswahl konservativer SF gibt.
Es ist für dich schwer auszuhalten, dass es eine große Auswahl rechter SF gibt.

Ich würde eher sagen: Der Backlash ist schwer auszuhalten, er schlägt sich in einer großen Auswahl konservativer und rechter (und damit aktiv diskriminierender) SF wider. Ich denke, dass die Aushaltbarkeit dessen etwas mit dem eigenen Standpunkt zu tun hat. SF, die sexistisch und rassistisch diskriminiert, finde ich wirklich schwer auszuhalten (so ich die Diskriminierung sehe). Das eigentlich Schwierige sind aber nicht diese Bücher, sondern die real vorhandene Diskriminierung, die die Bücher "nur" fortschreiben. Insofern sollte auch klar sein, dass es mir um konservative deutsche Wertsysteme geht, um reale Machtstrukturen, um den Status Quo.

Zitat
Den Begriff des konservativen Schreibens sehe ich als Gegenpart zum progressiven Schreiben.

Ich auch. Nur: Wenn progressiv bedeutet, sich aktuellen -ismen klar entgegen zu stellen, dann hieße der Gegenpart, sie zu befüttern. Und das finde ich das schwierig. Da würde ich dich als Autor auch nicht einsortieren.

Zitat
Darunter verstehe ich das Aufgreifen von klassischen SF-Themen wie Exploration, Eskapismus, Erstkontakte usw. usf. ohne den vordergründigen Anspruch, aktuelle Thematiken aufzugreifen und Zukunftslösungen anzubieten. Den bewerten Ansatz eines jeden Autors, der in erster Linie unterhalten will. Da sehe ich mich eher als Autor, als beim progressiven Schreiben. Das habe ich weiter oben auch schon ausgeführt und mich als in diesem Sinne konservativen Autor dargestellt.

Die spannende Frage ist: Was heißt das für dich in Bezug auf vorhandene Diskriminierungen und deine eigene privilegierte Position? Wir schreiben ja beide über diese klassischen SF-Themen. Im "Geflecht" geht es um Exploration, um Erstkontakte und man kann das Buch super nutzen, um dem Eskapismus zu frönen. Es spricht ja auch gar nichts dagegen, erstmal "nur" unterhalten zu wollen. Die Frage ist: Finde ich es okay, Diskriminierungen dem unterzuordnen oder versuche ich mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln, sie zu vermeiden? Da würde mich interessieren, wie du das für dich siehst.

Und um den Bogen mal wieder zurück zum Thema Erzählstrukturen zu schlagen: Du hast ja in deinen "Frauen von Berberath" klassische Erzählstrukturen gemieden. Genau darum ist das für mich auch keine konservative SF: Du hast keine klassische Heldenreise, keine 3-Akt-Struktur, keine einsamen Held*innen, die sich durchschlagen.

Ich selbst lehne mich sehr an klassische Spannungsbögen an, weil ich diese leicht zugänglich finde; einen guten Weg, um die mir wichtigen Themen zu transportieren und eine (hoffentlich gute) Geschichte zu erzählen. Gleichzeitig gibt es Traditionen, denen ich mich widersetze: Ich mag nicht immer weiter zuspitzen. Ich mag keine Einzelkämpfer*innen ins Zentrum setzen. Das heißt, ich verfolge dann doch die klassischen Strukturen nicht ganz, entferne mich aber auch nicht so weit von ihnen, wie du beispielsweise in Berberath.
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Theorie / Re: Alternative Erzählstrukturen
« Letzter Beitrag von diffusSchall am 18 June 2023, 11:37:06 »
Frank, du drehst mir die Worte im Munde um und das an so vielen Stellen. Was ist los?

Merin, ich spiele den Ball mal zurück:
Jmd das Wort im Munde zu verdrehen, bedingt Absicht. Du solltest mich eigentlich besser kennen, als dass das dein erster Schluss daraus ist.
Und so vielen Stellen sind genau zwei: zur Thematik „progressiv Schreiben“ und „konservative Literatur“.
Merin, warum so aggressiv? Was ist los?

So ganz klar sehe ich nicht, woher unser Problem rührt. Ich vermute schlicht Missverständnisse.
Ich bin auch Wildfee, dass ein größerer Teil der Irritationen vermutlich durch unterschiedlich definierte Begrifflichkeiten herrühren wird.

Zum Thema Progressivität ein paar Gedanken, die meine Sichtweise hoffentlich etwas besser beleuchten:
„Progressiv“ ist für mich keine Gattung, sondern ein Qualitätsmerkmal.
Ähnlich sehe ich den Begriff „Kunst“.
Ein kreatives Werk wird nicht automatisch Kunst, nur weil es kreativ ist. Da gehört eine entsprechend schwer wiegende Komponente dazu. Das kann ein inhaltlicher Unterbau sein, dass kann eine meisterhafte Ausführung sein, das kann Progressivität sein.
Ich finde, es riecht immer seltsam, wenn ein Schaffender selbst von seinem Werk behauptet, dass es Kunst sei. Das zu beurteilen bedingt Objektivität, dazu ist er in der Regel zu nah am eigenen Werk. Das beurteilen Kunstkritiker und die Allgemeinheit besser, in den allermeisten Fällen.
Genau so sehe ich Progressivität, im speziellen das progressive Schreiben:
Gesellschaftskritisch zu Schreiben macht einen Text noch nicht progressiv. Ob ein Text der aktuelle Thematiken aufgreift tatsächlich progressiv ist, dass können meiner Meinung nach Außenstehende besser beurteilen, als der Autor selbst, der nach meinem Empfinden auch hier nicht die ideale objektive Instanz zur Beurteilung ist.
Daher mein Standpunkt, dass ein Autor die Absicht bekunden kann progressiv zu schreiben. Mit der Aussage, dass er das tatsächlich tut, sollte er sich m.M. nach zurückhalten.

Mit diesem Hintergrund habe ich dich gefragt, was deine Zielsetzung ist: gesellschaftskritisch zu schreiben oder progressiv zu schreiben. Einfach um mehr darüber zu erfahren, wie du denkst, denn dass interessiert mich.
Das empfinde ich als legitim und hat nichts damit zu tun jemanden das Wort zu verdrehen.

Zum 2. Punkt:

Zitat
Du-u, Fra-ank ... das habe ich weder gemeint noch geschrieben. Ich schrieb, dass ich den Backlash schwer auszuhalten finde. Das ist schon ein sehr wesentlicher Unterschied.

Es geht um deinen Satz:

Dass es zwischendrin so einen Backlash gibt und so eine große Auswahl an konservativer und gar rechter SF, finde ich auch schwer auszuhalten.

Daraus lese ich drei Aussagen:
Es ist für dich schwer auszuhalten, dass es so einen Backlash gibt.
Es ist für dich schwer auszuhalten, dass es eine große Auswahl konservativer SF gibt.
Es ist für dich schwer auszuhalten, dass es eine große Auswahl rechter SF gibt.

Ich reibe mich an der zweiten Aussage.
Den Begriff des konservativen Schreibens sehe ich als Gegenpart zum progressiven Schreiben.
Darunter verstehe ich das Aufgreifen von klassischen SF-Themen wie Exploration, Eskapismus, Erstkontakte usw. usf. ohne den vordergründigen Anspruch, aktuelle Thematiken aufzugreifen und Zukunftslösungen anzubieten. Den bewerten Ansatz eines jeden Autors, der in erster Linie unterhalten will. Da sehe ich mich eher als Autor, als beim progressiven Schreiben. Das habe ich weiter oben auch schon ausgeführt und mich als in diesem Sinne konservativen Autor dargestellt.
Der Begriff konservativ wird hier nicht als Gesinnung oder ideologisch verwendet. Das wäre völlig irreführend. Auch hier: es sollte mich wundern, wenn du mich in dieser Ecke siehst. Nach all den tollen, menschlichen Diskussionen, die wir schon hinter uns haben.
Ich fürchte fast, gerade in Hinblick darauf, dass du in deinem Satz konservative SF neben Rechter SF stellst, dass du genau das tust: Konservativ nur aus ideologischer Sicht betrachtet.
Dann wäre mir klar, warum uns hier irritieren.

Bitte frage mich doch erstmal wertfrei, warum ich bestimmte Fragen stelle, wenn sie dir offensiv, fehlgeleitet oder sonst wie ungebührlich erscheinen. Ich habe den Eindruck, dass unsere Wertesystem in weiten Teilen sehr nah beieinander liegen.
Ich bin weder der Mensch, der anderen über den Mund fährt, noch versucht, ihnen die Worte im diesem zu verdrehen und auch niemand, der anderen seine Sicht aufzwingen muss.
Ich versuche zu verstehen und zu lernen, im Rahmen meiner Möglichkeiten und anderen meinen Standpunkt und meine Blick auf die Welt zu vermitteln.
Mehr nicht.

Liebe Grüße - Frank
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Theorie / Re: Alternative Erzählstrukturen
« Letzter Beitrag von merin am 17 June 2023, 16:30:07 »
Da kann ich vollkommen mitgehen. Sowohl bei der Idee, dass eine Definition hilfreich ist, als auch was die vorgeschlagenen Definitionen angeht. Für heißt Progressivität ein Infragestellen des Status Quo in Richtung Emanzipation aller Menschen und Gleichwürdigkeit.
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Theorie / Re: Alternative Erzählstrukturen
« Letzter Beitrag von Wildfee am 17 June 2023, 15:06:18 »
Ich denke/vermute, dass es hilfreich für die Diskussion ist, die Definitionen bestimmter Begriffe festzulegen ;-)

Wie definiert sich klassische Phantastik? Oder Retro-SF?
Ist klassische Phantastik auch progressiv? Wenn ja, warum?

Ich persönlich bezeichne Phantastik nicht per se als klassisch oder retro, weil ich meine, dass Phantastik, insbesondere SF, schon immer über den temporären Status Quo hinweg ging. Ja, die Storys waren natürlich beeinflusst von den jeweiligen Gesellschaftsströmungen und Erzählweisen, gar keine Frage. Aber es gab auch die Ausreisser, die herausragten, aneckten, nicht konform waren. Für mein Verständnis spricht nichts dagegen, diese Storys als progressiv zu bezeichnen, auch wenn sie schon mehrere Jahrzehnte alt sind.

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Theorie / Re: Alternative Erzählstrukturen
« Letzter Beitrag von merin am 17 June 2023, 14:33:02 »
Frank, du drehst mir die Worte im Munde um und das an so vielen Stellen. Was ist los?

Zitat
Ist das so? Ist dein zentraler Gedanke progessive Texte zu schreiben? Oder ist dein zentraler Gedanke gesellschaftskritisch zu schrieben? Was ist die Folge von wem?
Wenn dir jemand sagt, deine Themen und deine Art zu Schreiben ist nicht progressiv, aber gesellschaftskritisch. Fühlt sich das besser für dich an, als wenn es umgekehrt wäre?

Ich habe doch nirgendwo behauptet, dass das mein zentraler Gedanke sei. Oder mein zentrales Anliegen (ich nehme an, das war es, was du meinst?). Ansonsten würde ich sagen: Gesellschaftskritik funktioniert in progressive und in traditionalistische oder gar reaktionäre Richtung. Neonazis sind auch gesellschaftskritisch. Aber das ist gar nicht die Richtung, die mir vorschwebt. Insofern: ja bitte, gesellschaftskritisch und progressiv. Natürlich gibt es aber Leute, die meine Texte ganz anders lesen und das ist natürlich auch legitim.

Deine Gedanken zu Erzählen und Träumen leuchten mir ein: an beidem ist das Unbewusste beteiligt. Allerdings habe ich es so verstanden, dass wir hier über Erzählstrukturen sprechen. Und rein strukturell finde ich beide Arten des Erzählens doch sehr verschieden. Oder ich stehe einfach nur auf dem Schlauch und sehe die Ähnlichkeiten nicht. Oder wir haben aneinander vorbeigeredet, weil du den Inhalt meintest und ich die Struktur. Wobei: Wenn es um die Hypothese geht, dass die Struktur unserer Texte zu einem großen Teil ebenso unbewusst entsteht, wie die Struktur von Träumen, dann kann ich da sogar mitgehen. Interessanter Gedanke ... nur in der Überarbeitung wird im besten Falle dann einiges bewusst. Oder nicht? Die interessante Frage ist, inwiefern wir überhaupt Verfügungsgewalt über die Struktur unserer Texte haben.

Zitat
Du findest konservative SF schwer auszuhalten?

Du-u, Fra-ank ... das habe ich weder gemeint noch geschrieben. Ich schrieb, dass ich den Backlash schwer auszuhalten finde. Das ist schon ein sehr wesentlicher Unterschied.

Ansonsten müssten wir mal schauen, was für Retro-SF du meinst. Ursula K Le Guin? James Tiptree Jr? Douglas Adams? Stanislaw Lem? Alles alt und alles von mir sehr geschätzt, zumindest zum Teil. Aber retro meint eigentlich, dass es jetzt geschrieben wurde, sich aber beim Damals bedient. Und da verstehe ich gar nicht, auf wen du dich beziehst. Und was das mit der Erzählstruktur zu tun hat.  :dontknow: Magst du mich aufklären?
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Theorie / Re: Alternative Erzählstrukturen
« Letzter Beitrag von diffusSchall am 17 June 2023, 13:11:58 »
Du findest konservative SF schwer auszuhalten? Wow. Da wundert mich die ablehnende Haltung doch sehr. Dabei ist althergebrachte, traditionelle und nur unterhaltende SF so leicht zu ignorieren, wie ich finde. Doch zumindest zu tolerieren.
Ich halte daran gerne fest, weil ich das Klassische, dass heute oft schon als Retro-SF bezeichnet wird, liebgewonnen habe. Ich bin damit gross geworden.
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