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Textanfänge

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Fabian:

--- Zitat von: Zachi am 18 January 2015, 17:39:41 ---Unbekannter Autor, den Fabian zitiert hat:

--- Zitat ---In jenem Sommer, den ich bei ihr verbrachte, erschreckte sie mich bei jedem Sonnenaufgang, wenn sie auf der Kante ihres Bettes saß, die langen offenen Haare bis zum Boden reichten und unter ihren unentwegten Bürstenstrichen zitterten.
--- Ende Zitat ---

--- Ende Zitat ---
Dem Autor soll natürlich Referenz erwiesen werden: beim Zitat handelt es sich um den 1. Satz aus dem Buch "In Almas Augen" (Orig.: "The Maid's Version") von Daniel Woodrell, in der Übersetzung von Peter Torberg.


--- Zitat ---Auf diesen ersten Satz reagiere ich weitgehend so wie Fabian. Also 1. stellt sich auch mir die Frage, weshalb das den Ich-Erzähler erschreckt. Und 2. stört auch mich der Satzbau, durch dessen Subjektwechsel sich am Ende ein grammatischer Fehler ergibt: "... die langen offenen Haare bis zum Boden reichten und unter ihren unentwegten Bürstenstrichen zitterten" - als ob sich diese überlangen Haare selber kämmen würden + dabei "zitterten" ??  :watchout:
Drittens hat der Ich-Erzähler entweder reichlich übertrieben - siehe: "... die langen offenen Haare bis zum Boden reichten ..." oder sein Autor wollte eine neue Rapunzel ins literarische Leben einführen.
Gut möglich, ja sehr wahrscheinlich, dass ich - so wie Fabian - nicht viel mehr als nur diesen einen und ersten Satz von diesem Buch gelesen hätte.
--- Ende Zitat ---
Dazu sind drei Dinge anzumerken:
1. Ich reagiere etwas anders als Du, ich fragte mich nicht, warum das, was der Autor erwähnt, den Ich-Erzähler erschrecken könnte - ich fragte mich vielmehr, was das wohl sein könnte, was er den Ich-Erzähler nicht erwähnen lässt, wenn dieser sie so des Morgens sieht.
2. ich vermute eher einen Übersetzungsfehler (obwohl mir Herr Torberg bisher nicht als schlampiger Übersetzer aufgefallen ist), interessant wäre also, wie der Satz im Original lautet.
3. ich habe nicht gleich von den ungewöhnlich langen Haaren auf Rapunzel geschlossen, sie haben mich ebenfalls nur neugierig bzw. aufmerksam gemacht, ohne dass ich die vom Autor erdachte Auffälligkeit für störend übertrieben halte.

Ich schätze die Texte von Daniel Woodrell ungemein und werde das Buch auf jeden Fall lesen. Allein schon deshalb, weil er seine Geschichten immer so ungewöhnlich knapp ausbreitet (hier: 187 S.). Sehr angenehm!

merin:
Ich mag den Satz gern, auch wegen der Schachtelung und natürlich weild a mal eine Frau meine Haarlänge hat. :biggrin:In mir wird da eine Stimmung wach, ein Bild, und dasmacht mich neugierig. Szene und Gefühl stehen im Widerspruch und da will ich nun wissen: warum?

zac:
Hi Fabian, Hi Merin,

Zitate von Fabian:


--- Zitat ---beim Zitat handelt es sich um den 1. Satz aus dem Buch "In Almas Augen" (Orig.: "The Maid's Version") von Daniel Woodrell, in der Übersetzung von Peter Torberg.
--- Ende Zitat ---
Aha; von dem hatte ich bislang nie etwas gehört/gelesen. Habe mir jetzt nur schnell den Eintrag bei wiki... angeschaut. Danke für die nachträgliche Info.


--- Zitat ---2. ich vermute eher einen Übersetzungsfehler (obwohl mir Herr Torberg bisher nicht als schlampiger Übersetzer aufgefallen ist), interessant wäre also, wie der Satz im Original lautet.
--- Ende Zitat ---
Ja, dieses Original würde ich dann allerdings auch gerne mal in Augenschein nehmen. Was da jedoch erschreckend sein soll + vorerst nicht gesagt wird, habe ich mich an dieser Stelle nicht gefragt, weil mich erstmal nur dieser verschwurbelte Satz irritiert hat + in einem bereits veröffentlichten Buch eher dazu veranlassen würde, die nächsten paar Sätze allenfalls mit sehr großer Skepsis weiter zu lesen - um dem Text noch eine Chance zu geben, sozusagen.
Wäre das ein Text zum Rösten, würde ich denken: Au weia, da kommt ja wohl noch einiges in dieser Art.

Und generell hatte + habe ich jedesmal, wenn ich englischsprachige Originalliteratur mit deren deutscher Übersetzung vergleiche, den Eindruck: Literatur zu übersetzen ist mit Abstand die schwierigste Disziplin für Übersetzer  - also schier unmöglich, es dem Autor kongenial zu machen. 


--- Zitat ---Ich schätze die Texte von Daniel Woodrell ungemein und werde das Buch auf jeden Fall lesen. Allein schon deshalb, weil er seine Geschichten immer so ungewöhnlich knapp ausbreitet (hier: 187 S.). Sehr angenehm!
--- Ende Zitat ---
Wenn ich bereits Werke eines Autors kenne + sehr schätze, fällt es mir natürlich auch viel leichter, über einen sperrigen oder gar mit einem Grammatikfehler "glänzenden" ersten Satz hinweg zu lesen.

Zitat von merin:


--- Zitat ---Ich mag den Satz gern, auch wegen der Schachtelung und natürlich weild a mal eine Frau meine Haarlänge hat. :biggrin:In mir wird da eine Stimmung wach, ein Bild, und dasmacht mich neugierig. Szene und Gefühl stehen im Widerspruch und da will ich nun wissen: warum?
--- Ende Zitat ---
... also reichen die Haare dieser Frau in sitzender Haltung + nach vorne gebeugt, damit die Haare zum Bürsten frei hängen, bis zum Boden ... (Das wären bei mir ungefähr 85 cm) - Gut: An das Nach-vorne-Beugen habe ich erst bei meinem Selbstversuch gedacht (davon steht ja nichts in Woodrells Text); ist also auch ohne künstliche Haarverlängerung noch möglich.
Gut, merin; womit wir mal wieder bei den unterschiedlichen Geschmäckern wären - was jetzt nicht Deine beachtliche Haarpracht anbelangt - ebenfalls "big grin" - sondern bei mir in diesem Fall hauptsächlich am Stil des zitierten Satzes liegt. Schachtelsätze: gut, aber dann bitte richtig. Und gegen Gedanken, die einer möglichen Besinnlichkeit morgens auf der Bettkante zuwiderlaufen, habe ich ja prinzipiell auch nichts einzuwenden.

Freilich hat mich jetzt die Bezeichnung "Country-Noir-Krimi" in dem Wiki...-Eintrag zu Daniel Woodrell neugierig gemacht.

Apropos "Noir-Krimi": (und da mache ich zunächst auch mal keine weiteren Angaben)


--- Zitat ---Slibulsky und ich klemmten im leergeräumten Geschirrschrank eines kleinen brasilianischen Restaurants am Rand des Frankfurter Bahnhofsviertels und warteten auf Schutzgeldeintreiber.
Der Schrank war etwa ein Meter zwanzig breit und siebzig Zentimeter tief. Weder wegen Slibulsky noch mir musste sich die Kleiderindustrie Sorgen um den Absatz ihrer XL-Größen machen, außerdem trugen wir kugelsichere Westen und wollten im Ernstfall eine Pistole und ein Schrotgewehr so in Position bringen, dass [...]
--- Ende Zitat ---
1. Situation + Thema sind klar;
2. für meine Vorstellungsfähigkeit gut + realistisch beschrieben;
3. eine gewisse Komik sehe ich in diesen Sätzen auch bereits (+ erwarte noch mehr);
4. Spannung ist da: bin vor allem gespannt darauf, was genau oder wie es dann schief gehen wird;
5. korrektes Deutsch.
6. Ich hab' dieses Buch mit Vergnügen zu Ende gelesen.

Fabian:
Das Original:

--- Zitat ---She frightened me at every dawn the summer I stayed with her. She’d sit on the edge of her bed, long hair down, down to the floor and shaking as she brushed and brushed, shadows ebbing from the room and early light flowing in through both windows.
--- Ende Zitat ---
Und hier noch mal die Übersetzung, um den 2. Satz erweitert, damit sie deckungsgleich dem Original ist:

--- Zitat ---In jenem Sommer, den ich bei ihr verbrachte, erschreckte sie mich bei jedem Sonnenaufgang, wenn sie auf der Kante ihres Bettes saß, die langen offenen Haare bis zum Boden reichten und unter ihren unentwegten Bürstenstrichen zitterten. Die Schatten schwanden dann aus dem Zimmer, und das frühe Licht schwebte zu beiden Fenstern herein.
--- Ende Zitat ---

In Kenntnis des Originatextes hätte ich wahrscheinlich eher so etwas erwartet:
In jenem Sommer, den ich bei ihr verbrachte, erschreckte sie mich bei jedem Sonnenaufgang. Dann saß sie auf der Kante ihres Bettes, ihre langen Haare hingen bis zum Boden und zitterten unter ihren unentwegten Bürstenstrichen, während die Schatten aus dem Zimmer schwanden und das frühe Licht zu beiden Fenstern hereinschwebte.
Für mich gibt Torberg den beiden einleitenden Original-Sätzen in seiner Übersetzung fast schon einen anderen Sinn.


--- Zitat von: Zachi am 18 January 2015, 22:47:53 ---
--- Zitat ---Ich schätze die Texte von Daniel Woodrell ungemein und werde das Buch auf jeden Fall lesen. Allein schon deshalb, weil er seine Geschichten immer so ungewöhnlich knapp ausbreitet (hier: 187 S.). Sehr angenehm!
--- Ende Zitat ---
Wenn ich bereits Werke eines Autors kenne + sehr schätze, fällt es mir natürlich auch viel leichter, über einen sperrigen oder gar mit einem Grammatikfehler "glänzenden" ersten Satz hinweg zu lesen.
--- Ende Zitat ---
Drüber weg gelesen hab ich ja nun nicht gerade ...

Trippelschritt:

--- Zitat von: Fabian am 19 January 2015, 01:31:15 ---Das Original:

--- Zitat ---She frightened me at every dawn the summer I stayed with her. She’d sit on the edge of her bed, long hair down, down to the floor and shaking as she brushed and brushed, shadows ebbing from the room and early light flowing in through both windows.
--- Ende Zitat ---
Und hier noch mal die Übersetzung, um den 2. Satz erweitert, damit sie deckungsgleich dem Original ist:

--- Zitat ---In jenem Sommer, den ich bei ihr verbrachte, erschreckte sie mich bei jedem Sonnenaufgang, wenn sie auf der Kante ihres Bettes saß, die langen offenen Haare bis zum Boden reichten und unter ihren unentwegten Bürstenstrichen zitterten. Die Schatten schwanden dann aus dem Zimmer, und das frühe Licht schwebte zu beiden Fenstern herein.
--- Ende Zitat ---


--- Ende Zitat ---

Ich hätte es anders übersetzt und dabei entweder einen Fehler gemacht oder der Übersetzer hat sich vertan.
Who is shaking überhaupt?
Für mich ist es die Frau und sind es nicht die Haare. Außerdme kann ich mir schlecht zitterende Haare vorstellen, wenn es sich um eine ganze Haarpracht handelt, die gebürstet wird.
Ja, ist schon eine Crux mit den Übersetzungen. Und mit der englischen Zeichensetzung hatte ich schon immer meine Probleme.

Ich finde den englischen Beginn interessant, weil ich wissen will, was mit der Frau los ist.
Den deutschen Beginn finde ich abstrus, denn die zitternden Haare interessieren mich nicht. Für mich ist das eine konstruierte Beobachtung, die ich nicht verstehe. Aber so kann es gehen.

Liebe Grüße
Trippelschritt

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